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Kultur: So wie damals
Retrospektive einst junger wilder DDR-Amateurfilmer
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Jung waren sie, respektlos, voller Ideen. Sie wollten sich ausprobieren, wollten anders sein, und dieser Anspruch sollte sich auch in ihren Super-8-Filmen spiegeln. Wenige Jahre vor dem Mauerfall gründete eine Handvoll junger Potsdamer um Fayd Jungnickel und Alexander Schubert die unabhängige Gruppe „Film & Foto Man Ray“. Es gab sie allerdings nicht lange, Ungarns offene Grenzen und der Fall der Mauer ließ sie schnell wieder zerfallen. Was die Siebzehn-, Achtzehnjährigen bis dahin auf manchmal geradezu verwegene Weise geschaffen hatten, war am Donnerstag als abendfüllende Retrospektive im Filmmuseum zu erleben.
Da sie sich als Rahmenprogramm zur aktuellen Foyerausstellung über das hiesige Amateurfilmschaffen vor 1990 verstand, gab es auch Platz für ein wenig bekömmliches Frühwerk von Andreas Dresen. „Die Schritte der anderen“ wurde 1987 im Studio des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit, der Leitstelle aller künftigen Kunst-Paladine, mit Anspruch auf den Profi-Status gedreht, blieb aber trotz kritischer Ansätze im Konventionellen stecken. Die Geschichte: Durch einen Zufall kommen sich drei „entfremdete“ Nachbarn in einem Neubaublock rein menschlich näher. Lotte Loebinger spielte die nette, aber unbekannte Oma von nebenan.
Ganz anders die wilden „Jugendsünden“ der sich nur formal auf Man Ray berufenden Jungfilmer! Mit Feuereifer gingen Fayd Jungnickel, Alexander Schubert, Tom Zickler und andere ans Werk. Gedacht wurde an Luis Bunuels „Andalusischen Hund“ und weitere Schmankerl der avantgardistischen zwanziger Jahre, gedreht wurde unter teils abenteuerlichen Bedingungen, entwickelt notfalls in der heimischen Badewanne. Manchmal lag die Produktionszeit unter einer Woche. Das recht gut besuchte Kino sah „Man soll die Toten schlagen, wenn sie kalt sind“, eine hübsche Parodie auf die Stasi in expressionistischer Manier, das kurze „Scombermix“, für ein Hamburger Filmfestival gedreht und „rübergeschmuggelt“, sowie den poetischen, eigentlich unbetitelten „Blauen Film“, auf Hiddensee gedreht. Mit „Dokument 89“ gingen Fayd Jungnickel und Tom Zickler dann kurz nach der Vereinigung in Übersee auf Tournee, um den Amis zu zeigen, wie die DDR wirklich war. Dieser Streifen hatte leider viel zu viel „Tendenz“ geschluckt, um noch wahrhaftig zu sein.
Das anschließende Podiumsgespräch war dann richtig nett, nur verlor es sich bald in meist zährenden Erinnerungen an die schöne, wilde Jugendzeit. Wie man im Holländer Viertel lebte, auf Hiddensee verfolgt wurde oder über Ungarn in den Westen entwich und sich aus den Augen verlor. Jeder ging eigene Wege, einige blieben beim Film. Zu jung die Truppe, zu kurz die Zeit. Man habe, war zu hören, „ohne Sendungsbewusstsein“ einfach angefangen, neugierig, was dabei entstehe. Konfrontationen mit der Staatsmacht sollten dabei (was man versteht) ausdrücklich vermieden werden. So blieb der liebe lange Abend dem hohen Eingedenken geweiht. Hier eine Schnurre, da eine Pointe. Offenbar hatten die Avantgardisten von einst ihren Nachfahren nichts Aktuelles weiterzugeben. Aber dergestalt sind sie ja viele Streiter von einst. In diesem Sinne: Mit Feuer zurück in die nächste Reprise!
Gerold Paul
Gerold Paul
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