Kultur: Spirituelles
Das Ensemble Voca me musizierte Hymnen von Kassia in den Neuen Kammern
Stand:
Unter den Augen der Metamorphosen des römischen Dichters Ovid, die mit ihren überwiegend erotisch-anzüglichen Geschichten einen Festsaal in den Neuen Kammern des Parks Sanssouci bildnerisch schmücken, erklangen während der Musikfestspiele am Samstag Hymnen von Kassia. Programm und Ort ließen zwar selten eine Harmonie zu. Doch die vorzügliche Akustik und die Qualität des Dargebotenen versöhnten. Die Friedenskirche mit ihrem byzantinischen Mosaik wäre sicherlich der geeignetere Raum für die spirituellen Gesänge der Kassia gewesen.
Kassia, die um 805/810 in Konstantinopel geboren wurde, gehörte einer Aristokratenfamilie an und wurde nicht nur für ihre Intelligenz, sondern auch für ihre Schönheit gerühmt. Als der Kaiser Theophilos im Jahr 830 auf der Suche nach einer Frau war, kam auch Kassia zur Brautschau. Theophilos soll, so berichteten byzantinische Chronisten, von ihr angetan gewesen sein. Aber als er scherzhaft unter Anspielung auf die Rolle Evas im Paradies meinte, Frauen seien die Wurzel allen Übels, hatte Kassia eine Erwiderung parat: Frauen seien auch Ursache des Guten, wie schließlich die Gottesmutter Maria beweist. Da der Kaiser keinen Widerspruch dulden konnte, wählte er eine andere Frau aus. Kassia gründete ein Kloster und konzentrierte sich auf ihre Dichtkunst und ihre Kompositionen. Von Demut, Vertrauen und Liebe zu Jesus erzählen die Hymnen der Kassia, auch von ihrer Verehrung zur großen Schar der Heiligen. Sie selbst gehört heute zu den beliebten Heiligen in der orthodoxen Kirche.
Das Ensemble Voca me mit den ausgezeichneten Sängerinnen Sigrid Hausen, Sarah M. Newman, Petra Noskaiová und Gerlinde Sämann sowie dem Instrumentalisten Michael Popp hat sich zu dieser frühen Musik zurückgetastet und ein Gespür dafür entwickelt, wie man sich diese Gesänge praktisch vorstellen kann. Natürlich gilt hier – noch viel mehr als sonst – das, was über die Wiederbelebung alter und ältester Musik allgemein und mit Recht anzumerken ist: Wir wissen nicht, wie es geklungen hat, wie es gemeint war, was die aufführungspraktischen Bedingungen und Selbstverständlichkeiten waren. Doch das wird von Voca me auch nicht behauptet. Es erarbeitet auf Basis der Überlieferungen und mit ihrer musikalischen Expertise eine Variante und stellt diese vor. Und das Ergebnis funktioniert vorzüglich.
Das Damen-Quartett bewegte sich in dem vorgestellten mystischen Klangraum schlafwandlerisch sicher und fand zu einer beeindruckenden Klangdisposition. Besonders eindrücklich kamen die speziellen Verzierungstechniken daher, mit einem raschen Umflirren der eigentlichen Note. Darin wurde eine Verbindung zu musikalischen Traditionen deutlich, die noch heute in der Türkei und im Nahen Osten zu beobachten sind. Zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit sind die Hymnen angesiedelt. Zaghaft wurden sie von Michael Popp, der die einzelnen Titel musikalisch einrichtete, auf Zupf- und Saiteninstrumenten, die oftmals persische Vorbilder haben, begleitet.
Wohl zu Recht wird diese fremde und doch aus den Praktiken der östlichen Kirchen in gewisser Weise auch der Gegenwart vertraute Musik als Verbindungsstück zwischen Ost und West, zwischen byzantinischer, koptischer und arabischer Musik gesehen. Der Beifall der Hörer in den Neuen Kammern war für diese hoch interessante Neuentdeckung sowie für die großartige Gesangskunst von Voca me lang anhaltend. In der Nacht, gegen halb eins, wechselten die Sängerinnen und Michael Popp innerhalb des 24-Stunden-Antike-Projekts das Podium. Sie sangen nun in der Bildergalerie und gaben dort unter den Bildern von Rubens, Caravaggio oder van Dyck einen Ausschnitt aus ihrem stimmungsvoll-mystischen Kassia-Programm. Klaus Büstrin
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