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Kultur: Sprechblasen, die zu einer Seifenblase wurden

Hochhuths „McKinsey kommt“ am Brandenburger Theater

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Hochhuths „McKinsey kommt“ am Brandenburger Theater Von Klaus Büstrin So mancher wartete auf einen handfesten Skandal, doch vergebens. Zumindest dachten einige der Zuschauer, wenn Rolf Hochhuth nach der Aufführung die Bühne betritt, würde es Buhrufe hageln. Nichts dergleichen. Ein höflicher Beifall des Publikums im prall gefüllten Kleinen Haus des Brandenburger Theaters beendete die Uraufführung des neuen Hochhuth-Stücks „McKinsey kommt“. Keine andere Bühne im Land Brandenburg hat bislang so viel Aufsehen erregt, wie das Brandenburger Theater im Vorfeld einer Premiere. Wochenlang berichteten die Medien darüber. Selbst Ulrich Wickert nahm sich dem Stück in den „Tagesthemen“ mit einem längeren Beitrag an. Für die Uraufführung hatten sich weit mehr als 100 Journalisten aus aller Welt angemeldet. Nicht alle Kartenwünsche konnten erfüllt werden, denn alle acht Vorstellungen waren im Nu ausverkauft. Auch für die zusätzlichen im April sind kaum noch Tickets erhältlich. Das Brandenburger Theater ist plötzlich in aller Munde, obwohl es ein Schauspielensemble laut Kulturministeriumsforderung gar nicht mehr geben darf. Aber mit sechs verbliebenen Schauspielern, die unkündbar sind, versucht man es hin und wieder doch noch mit Sprechtheater. Den Schauspielern hätte man ein anderes Stück gewünscht, bei dem sie sich gut in Szene hätten setzen können. Denn was Rolf Hochhuth ihnen bot, ist alles andere als ein Schauspiel. Zwei Szenen von insgesamt fünf hätten vielleicht das Zeug zum Theater. Da werden Geschichten angedeutet: Frauen und Männer, die in die Arbeitslosigkeit entlassen oder degradiert werden. Doch Rolf Hochhuth erzählt nichts, er konfrontiert die Zuschauer vorwiegend mit Zahlen über Massenentlassungen, Renditen und Gehälter von Spitzenmanagern. Theater entsteht aber wohl erst dann, wenn der Autor eine dramatische Handlung vorgibt, in der er uns von Menschen mit ihren Problemen, Freuden und Widersprüchen berichtet. Rolf Hochhuths Vorlage ist lediglich eine Aneinanderreihung von Verlautbarungen. Staubtrocken. Man hatte den Eindruck, man liest den Zuschauern politische Meldungen aus Tageszeitungen vor. Auch kein Anflug von Kabarett oder Ironie ist zu finden, wenn man vom Prolog einmal absieht. Und der scheint nicht von Hochhuth zu sein. Der Mann, der die Bühne betritt, spreizt die Finger zum „Victory“-Zeichen. Die Geste macht klar, gegen was für Leute es im Brandenburger Theater geht: So hatte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann kürzlich zu seinem Prozessauftakt in Düsseldorf die Finger in die Kameras gehalten. Da treffen sich der Bundesrichter Kurt und Hilde Zumbusch Gründerin einer Arbeitslosenpartei, auf einem Bahnhof. Sie sind sich einig, dass das Grundgesetz geändert werden muss, um die „Hydra der Banken und Konzerne“, die „Diktatur der Weltwirtschaft“ zu bändigen. „Zähmt die Wirtschaft!“, müsste Don Carlos'' Aufruf heute lauten, meint Hilde. Dann treten zwei Schweizer hinzu, ein Großvater und seine Enkelin, die sich beim Studieren von Zeitungen erzürnen, dass die älteste Waggonfabrik ihres Landes von DaimlerChrysler dichtgemacht wird. „Dieser Deutsche nimmt Schweizern die Existenz – folglich: warum nicht auch ihm das Leben nehmen wie Tell dem Geßler!“, lautet die radikale Konsequenz der Enkelin. Passagen wie diese hatten Hochhuth mit seinem Stück in die Schlagzeilen gebracht, nach Protesten von Konzernchefs. Sie riefen indirekt zu Attentaten auf Wirtschaftsbosse auf, lautete der Vorwurf. Tatsächlich sind Erörterungen über gewaltsamen Widerstand gegen den „Raubtier-Kapitalismus“ in der Aufführung allgegenwärtig. So sinnieren zechende Arbeitslose, ob sie nicht mit der Kalaschnikow Rache für ihre Entlassung an einem der verantwortlichen „Dollar-Diktatoren“ nehmen sollten. Am Ende belassen sie es jedoch beim Wodka-Trinken. Erst fast zum Schluss verliest ein Schauspieler die „Warnung“ , für die Hochhuth scharf kritisiert worden war. Es endet mit der Zeile „Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen“ – ein Hinweis auf Industrielle, die Opfer von Attentaten der Roten Armee-Fraktion (RAF) wurden. Die Schlussszene führt in das Bundesverfassungsgericht. Die Vorsitzende der Arbeitslosenpartei klagt auf das Grundrecht auf Arbeit. Demonstranten dringen in den Saal ein. Die jungen Leute verbrennen die Europa-Fahne mit den Worten: „Wir Europäer haben aus Fantasielosigkeit und Unterwürfigkeit gegenüber unseren Herren, den USA, ihr Sternenbanner kopiert. Weil wir jetzt in Europa ebenso den Profit zu unserem einzigen Gott machen.“ Rolf Hochhuth hat das Gespür, brennend aktuelle Themen auf die Bühne zu bringen, Themen, die die Menschen interessieren, nämlich das Recht auf Arbeit. Wie soll man diese bühnenunwirksamen Texte bebildern? Regisseur Oliver Munk wusste da keinen Ausweg. Es bleibt einfach alles öde. Die Schauspieler (Marion Wiegmann, Renate Siegl, Heide Domanowski, Christiane Ziehl, Harald Arnold, Olaf Polenske, Rolf Staude, Ingolf Mueller-Beck, Lutz Blochberger) haben keine Möglichkeiten, sich zu entfalten, sie bleiben Referenten, Figuren ohne Fleisch und Blut. Die Bühne (Stephan Besson), die als schiefe Ebene gestaltet ist und sich im Laufe der Vorstellung immer stärker neigt, gehört noch zum Interessantesten der Aufführung. Die Unternehmensberatung McKinsey hat übrigens eine ganze Vorstellung angekauft. Aber sie wird nicht allzu sehr vor dem Kopf gestoßen werden. Denn die Hochhuth-Meinungen wird den Beratern mit Sicherheit bekannt sein. Und McKinsey wird natürlich weiter artig seine Arbeit machen. Schließlich wird man weiterhin von Konzern gerufen, die Menschen einsparen müssen. Die gut gemeinte Provokation Hochhuths ist eine Anhäufung von Sprechblasen, die so zu einer Seifenblase wurde. Das richtige McKinsey-Stück steht noch aus.

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