Kultur: Staudenhof und Strudelhof
Klassiker entstauben: Neue Lesereihe bei Wist
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Für alle, die sich darunter nichts vorstellen können: Auch Potsdam habe ja so etwas wie eine Strudelhofstiege, sagt Frank-Volker Merkel und findet den Gedanken sehr vergnüglich. Der 73-jährige Germanist und Theologe wird am kommenden Donnerstag im Literaturladen Wist aus Heimito von Doderers Roman „Die Strudelhofstiege“ lesen. So ein Gässchen wie dieses in Wien, Zentrum aller Handlungsstränge des verworrenen Romans, könnte man sich vorstellen wie die Zuwegung zum Staudenhofcafé. Ein bisschen verwinkelt, Hinterhof eben. Aber doch mittendrin.
Vorleser Merkel kennt beide Orte: In Wien hat er studiert und in der Nähe dieser Strudelhofstiege ein Zimmer gehabt, auch die berühmte Couch von Freud war nicht weit, sagt Merkel. Er kommt ins Schwärmen, wenn er von den südlichen Ländern erzählt, beispielsweise Italien, wo er einige Zeit lebte. Jetzt ist er seit 12 Jahren Potsdamer, und den Staudenhof hat er nur entdeckt, weil er dort mit seinem Rechner ins Internet kann, zu Hause geht das gerade nicht.
Und so trifft das Ansinnen Carsten Wists, mit einer neuen Lesereihe Klassiker wie eben dieses gut 900-Seiten-Biest zu entstauben, auf eine ganz lokale – oder vielleicht doch literarische? – Verflechtung. Was beweist, dass sich das Abstauben lohnt: Wist, Inhaber des gleichnamigen Literaturladens, will mit den Lesungen auf Autoren abseits des Mainstreams aufmerksam machen. „Bisher stellen bei uns Autoren ihre Werke meist selbst vor, Bestseller, Literaturpreisträger“; für die neue Reihe qualifiziere man sich quasi über sein Ableben. Ob dann Werke von Heinrich Heine oder Stephan Hilsberg vorgestellt werden, wer als nächstes kommt – Wist weiß es noch nicht. Vielleicht ist es ja Heinrich Mann: „Wir können ja den Untertan hervorkramen und ihn einmal hören, gesprochen erleben – wie wirkt das wohl heute?“ Auch Wist ist begeistert. Im Grunde seien selbst Klassiker vor neuen Entwicklungen nicht sicher, man müsse nur an die vielen neuen Übersetzungen denken. „Die ganzen Dostojewkis oder Orlando von Virginia Woolf – ach, wir könnten jeden Monat lesen“, schärmt der Literaturexperte.
Den Anfang macht nun Frank-Volker Merkel mit einem Klassiker aus dem Nachbarland Österreich. Wer bisher weder von Autor noch dem Roman gehört hat, müsse sich nur ein bisschen schämen, tröstet Wist, auch er habe mehrere Anläufe für das Buch gebraucht und sei nun dabei („weil ich es Merkel versprochen habe“), es endlich zu beenden. Derweil sitzen seine Kinder an einem 1000-Teile-Puzzle der Strudelhofstiege, das Merkel aufgetrieben habe. Zur Lesung will Merkel Stadtpläne von Wien verteilen. Die Begeisterung für den Roman könne man unmöglich nur durch Lesen in ein oder zwei Stunden vermitteln, findet Wist. „Wir werfen nur den Köder aus und schauen und hoffen, dass jemand anbeißt“, sagt der Buchhändler.
Steffi Pyanoe
Frank-Volker Merkel liest „Die Strudelhofstiege“ am Donnerstag um 20 Uhr im Literaturladen Wist, Dortustraße 17, Eintritt frei
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