Von Heidi Jäger: Streicherschmelz und Soul-Kaskaden
Jocelyn B. Smith und das Filmorchester Babelsberg mit „My Christmas Experience“ im Nikolaisaal
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Sie ist eine Dompteuse. Selbstbewusst dirigiert Jocelyn B. Smith das Publikum. Mit dem ersten Fingerschnipp hat sie den halben Saal am Haken. „Hallo Potsdamer“ ruft sie in die vollbesetzten Reihen des Nikolaisaals und fordert angesichts der Kraft des verspeisten Gänsebratens zum Mitklatschen auf. Unbändig wie ihre Löwenmähne wirft sie sich selbst kraftstrotzend in die „Manege“, gleitet ohne Kollision durch alle Tonlagen, die sie zu Recht als Königin des Soul erstrahlen lassen.
„My Christmas Experience“ ist keine weihnachtsselige Andacht, sondern eine glitzernde Revue, die an den ausladenden Festtags-Budenzauber New Yorks erinnert. Die Sängerin will ihre Herkunft keineswegs verhehlen, obwohl sie vor über zwanzig Jahren Deutschland zu ihrer Wahlheimat erkor. Doch wie beim Gospelsingen der Schwarzen in ihren Kirchen möchte diese energiegeladene Frau ein gemeinsames Fest zelebrieren. Keiner soll an seinem Sessel kleben und nur „berieselt“ werden. Aktion ist gefragt. Nicht alle lassen sich auf diese Verführung ein. So sitzen schunkelnd-strahlende und mitsingende Zuschauer neben verbissen in sich rein grollende Verweigerer.
Auch das große Brimborium des Filmorchesters Babelsberg, das an diesem ersten Weihnachtsfeiertag mit schmetterndem Blech und zartem Glöckchen frohgestimmt musiziert, erreicht offensichtlich nicht jedes Herz. Dabei malen die Musiker ein durchaus klangreiches Potpourri, das das Bild einsam verschneiter Straßen ebenso heraufbeschwört wie eine rasante Schlittenfahrt. Doch Bernd Wefelmeyers agil auftrumpfenden Instrumentalisten sind keine Weihnachtspuristen. In „The little drummer boy“ adaptieren sie augenzwinkernd Ravels „Bolero“, ohne ihn zu denunzieren. Auch Vivaldis Jahreszeiten kommen stürmisch daher und erhalten durch das virtuose Aufspiel zweier Solo-Violinen aufwühlend bedrängende Nähe. Mittendrin allerdings öffnet sich Citys Ohrwurm „Am Fenster“ und wirkt in dem stimmigen Spiel wie ein Knallbonbon. Aber Silvester ist ja in greifbarer Nähe.
Wefelmeyer weiß um das schwere Los, gegen die Power von Jocelyn B. Smith anzutreten. „Wir versuchen es mit Emotionen und die Streicher helfen uns mit ihrem Schmelz“, sagt er in sympathisch-bescheidener Art und lässt überzeugend Taten folgen. Doch zur eigentlich frohen Gabe, die über den Abend hinausstrahlt, erweist sich der Dialog zwischen Sängerin und BigBand des Orchesters. Ganz geerdet und zugleich federleicht schwebend, bewegt sich die Künstlerin zwischen rauchig-dunkler Tiefe und sopranhellem Jubilieren. Sie braucht nicht die große Geste und schon gar nicht das Alé Hopp des Publikums. Sie allein, flankiert von Geigen und Saxophon, ist die wahre Attraktion. Und wenn sie von Rudolf, dem rotnasigen Rentier erzählt, den sie arbeitslos in einer Potsdamer Bar traf, brilliert sie auch mit erzählerischem Charme. Sie weiß, der abgestellten Red Nose wieder zu ihrer alten Sprungkraft zu verhelfen, die jazzig ihre Flanken schlägt. Der Dompteuse gebührt Beifall, auch ohne dass sie ihn unnachgiebig einfordert.
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