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Kultur: Studio allein zuhause

Die erste „Filmstadt Babelsberg“-Filmnacht über Filmkunst und -politik

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Die erste „Filmstadt Babelsberg“-Filmnacht über Filmkunst und -politik Von Matthias Hassenpflug Für alle, die Defa-Filme anschauen wollten, war das Potsdamer Filmmuseum schon immer die erste Adresse. Als offizieller Mythenhüter der Filmstudios in Babelsberg gehörten Retrospektiven zur Ufa- und Defa-Zeit und Filmgespräche mit den damaligen Machern sowieso zum festen Programm. Auch die neue Dauerausstellung bezeugt die enge Bindung. Warum also lädt der Marstall nun bis Dezember zu sechs Filmnächten, die sich – abgesehen vom improvisierten Weinstand – oberflächlich nicht von anderen Abenden unterscheiden, an denen drei Filme gezeigt werden und dazwischen Prominenz ein wenig plaudert? Anhaltspunkte dazu liefern die letzten Seite des ausführlichen Programmbooklets „Filmstadt Babelsberg“. Dort finden sich unter der Überschrift „Verkauf für 1 Euro – was wird aus Babelsberg?“ unkommentierte Zeitungsauszüge über den jüngsten Betreiberwechsel bei den Studios. Mythen gedeihen zwar prächtiger, je mehr ihr realer Ursprung verblasst. Aber die Existenz des Filmmuseums ist zu eng mit dem Filmstandort Babelsberg verbunden, um sich mit der Rolle des Mythenbewahrers zufrieden geben zu können. Nur ein Studio, das Filme produziert, wird das Museum in der Zukunft mit neuem Stoff nähren, wenn die alten Defa-Protagonisten nur noch auf der Leinwand leben. Insofern hatte schon die erste Filmnacht, in der der Autor Wolfgang Kohlhaase im Mittelpunkt stand, mehr Bedeutung als der übliche Nostalgie-Abend in den blauen Sesseln. Mit den gezeigten Werken „Berlin – Ecke Schönhauser“ (1956/57), „Ich war neunzehn“ (1968) und „Die Stille nach dem Schuss“ (1999) wurde Kohlhaases beeindruckende, sich über fast fünf Jahrzehnte hinziehende künstlerische Kontinuität gewürdigt. Ein Beispiel von vielen für das enorme künstlerische Potenzial aus Babelsberg. Kohlhaase, der ein Leben lang mit dem Studio verbunden war, hatte den Bruch durch die Wende überstanden. Im Gespräch mit Knut Elstermann von Radio eins und Volker Schlöndorff verwies der Drehbuchautor aber auf die vielen Kollegen, „die ihren Beruf zehn Jahre vorher beendet hatten, als sie das hätten tun sollen.“ Die Zusammenarbeit des Drehbuchautors mit Volker Schlöndorff für „Die Stille nach dem Schuss“ ist nicht nur wegen der unterschiedlichen Biografien bemerkenswert. Schlöndorff hat die Filme aus der Filmstadt, besonders die alten Stummfilme, in seiner frühen Zeit in Paris sozusagen aus einer künstlichen Distanz schätzen gelernt. „Die aktuelle Defa-Produktion kannte ich nicht“, erzählte er. An Kohlhaases Drehbüchern schätzt er die präzisen, genauen Dialoge, „in denen Kommas und Punkte mitgesprochen werden müssen.“ Kohlhaases Drehbücher wären wasserdicht gegenüber den Regisseuren, wie Blaupausen, um ein Gebäude zu errichten. Bis 1998 jedoch war Schlöndorff aber auch sechs Jahre Geschäftsführer der Studios. Und nur als der Moderator Elstermann, der ansonsten angenehm zurückhaltend das Gespräch führt, auf die „Abwicklung“ zu sprechen kommt, reagiert der Regisseur etwas allergisch: „Wir sind mit im guten Gewissen mit den Franzosen nach Babelsberg gekommen: wir sind die Retter.“ Nicht einen der über 700 Mitarbeiter hätte man entlassen, „Was ist da abgewickelt worden?“ Schlöndorff sieht heute den Fehler darin, in Babelsberg nicht selbst Filme produziert zu haben. Doch als Produktionsort für Fernsehsender hätte Brandenburg keine Lobby: „Nicht ein Auftrag des ZDF, nicht ein Auftrag der ARD, in der ganzen Zeit“. Mit diesem Wissen, und nach vergeblichen Appellen an Wirtschaftsminister Clement, hätte er damals gewiss gewarnt: „Geht nicht nach Brandenburg, Brandenburg hat keine Freunde – wir in Brandenburg werden kaputt gehen“. An diesem Punkt der Diskussion wurde nun die (film-)politische Dimension sichtbar. Während Schlöndorff sehr eloquente und unterhaltsame Worte fand über die Misere der deutschen Filmproduktionen, die zu 90 Prozent soviel kosteten wie eine Tatort-Folge, Filme in amerikanischer Dimension mit europäischer Identität jedoch fehlten, trat Wolfgang Kohlhaase etwas in den Hintergrund. Es lag wohl an seiner sympathischen Art, nur die wirklich nötigen Worte zu finden, die auch seine Dialoge auszeichnet. Sicher stimmte er aber Schlöndorffs Einschätzungen stillschweigend zu. Über die Zukunft des Studios kommt dieser zu einer düsteren Ahnung: „Alle werden entlassen, ohne Abfindung. Zwei schwarze Jahre stehen bevor.“ Aber dann käme der Neuanfang, denn Babelsberg ohne Film wäre ja genauso undenkbar, wie ein Land, in dem keine Romane geschrieben werden.

Matthias Hassenpflug

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