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Kultur: Suche nach emotionaler Heimat

Am morgigen Donnerstag haben „Die Räuber“ am HOT Premiere: eine Koproduktion mit der HFF

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Es gibt acht Fränze und acht Karls. Und auch Amalia erscheint in mehrfacher Ausführung auf der Bühne. Regisseur Wulf Twiehaus hat sich in seiner Inszenierung von Schillers „Die Räuber“, die am morgigen Donnerstag am Hans Otto Theater Premiere hat, allein auf die drei Hauptfiguren konzentriert und die andere Personage konsequent unter den Tisch fallen lassen. Es gibt weder den alten Moor, Vater der rivalisierenden Brüder Franz und Karl, noch die Räuberbande, die der wilde Karl anführt. Und dennoch werde die ganze Geschichte von Schillers Erstling über jugendlichen Freiheitsdrang erzählt, versichert der Regisseur. Der Gast hat einen sehr eigenwilligen, aber durchaus überzeugend klingenden Zugang gefunden, um tief in die multiplen Figuren vorzudringen.

Der erfahrene Theatermann stand bei seinem Potsdam-Debüt vor der Herausforderung, einer ganzen Schauspielklasse auf der Bühne Präsenz zu verschaffen. Nur zu gut weiß er, dass sich jeder der Mitspieler aus dem dritten Studienjahr der Babelsberger Filmhochschule von dieser Aufführung die Referenz für ein Engagement erhofft. Mit ihm als Spielleiter haben die jungen Leute offensichtlich einen guten Anwalt für ihre ganz natürlichen Karrierepläne gefunden. Denn er lässt alle acht ebenbürtig das Wort ergreifen. Und das Stück tut sicher sein Übriges.

Wenn Wulf Twiehaus vor der Probe ganz entspannt über „Die Räuber“ erzählt, schält sich die Geschichte glasklar heraus. Sie scheint mitten im heutigen Leben angesiedelt. Offensichtlich haben sich die Probleme junger Leute seit Schiller nicht groß verändert. „Man braucht den Vatermord, um den Vater wieder zu mögen“, bringt Twiehaus die Grundkonstellation drastisch auf den Punkt. Dieses Sturm-und-Drang-Stück, das der Regisseur gemeinsam mit seiner Freundin für die Potsdamer Inszenierung bearbeitet hat, entspreche sehr dem Grundlebensgefühl von Studenten. „Es geht um den Eindruck, zu kurz zu kommen und sich zurückgesetzt zu fühlen. Das Konkurrenzdenken, das Schiller unter den Brüdern angesiedelt hat, besteht unter Studenten nicht minder.“ Gerade bei dem Druck des Auswahlverfahrens, wo jeder auf den anderen schaue und bange, selbst gesehen zu werden. Twiehaus jedenfalls nahm jeden wahr. „Alle hatten auf der Probe bereits ihre berührenden Momente.“

„Die Räuber“ ist ein unkaputtbares Stück, sprachlich in tolle Bildern gefasst, schwärmt Twiehaus. Und dennoch sei es kein Selbstläufer. „Man muss es schon ein bisschen durchdringen, um die Sprache wieder verständlich zu machen.“ Um sich zu vergewissern, auf dem richtigen Inszenierungsweg zu sein, lud er relativ früh eine zehnte Klasse in die Proben ein, die das Stück noch nicht kannte. „Alle Schüler sagten, dass sie es verstanden hätten. Wenn sie sich emotional von den Figuren angesprochen fühlen, hören sie über die komplizierte Satzstruktur hinweg.“

Twiehaus hat die Figuren zutiefst ergründet. Bereits vor zwei Jahren brachte er „Die Räuber“ auf die Bühne: in Konstanz, wo er Oberspielleiter war, bevor er wieder freiberuflich wurde, um mehr Zeit für die Kunst zu haben. Diese „Räuber“ hätten durchaus überzeugt, was nicht unbedingt dafür spricht, sie sich ein zweites Mal vorzunehmen. Doch der Regisseur, der auch schon in Leipzig, Magdeburg oder an der Berliner Schaubühne inszenierte, ging auf den Wunsch des Potsdamer Theaters ein – und fand einen völlig neuen Zugriff. Bei der ersten Version interessierten ihn, ausgelöst durch die U-Bahn-Schlägereien, Formen jugendlicher Gewaltausbrüche, mit denen Youtube voll sei. „Gewalt findet offensichtlich statt, so dass sie gefilmt werden kann.“

Jetzt geht es ihm um das Sichtbarmachen von Schmerz und Sehnsucht, die in jeder der drei Figuren stecken. Um den jugendlichen Helden auf die Schliche zu kommen, fing er bei sich ganz persönlich an, erinnerte sich, wie er, obwohl ganz behütet westdeutsch aufgewachsen, spätestens mit 18 Jahren weg musste vom Elternhaus, „ganz weit weg“. Erst vom westfälischen Lengerich nach Marburg, schließlich nach Berlin.

Auch Karl, der geliebte Erstgeborene, verließ den Vater, um in Leipzig ungezügelt das Studentenleben zu genießen und seine überschüssige Lebensenergie zu verpulvern. Bruder Franz, der sich stets zurückgesetzt fühlte, wittert die Chance, die Stelle des verhassten Bruders einnehmen zu können. Er intrigiert – mit Erfolg. Der Vater lässt den Erstgeborenen fallen wie eine heiße Kartoffel. Auch Amalia, die von Karl kaltgestellte Freundin, wird von Franz heftig umworben. Doch Amalia wartet lieber schmachtend auf die unerreichbare Liebe, als den zu nehmen, der sich ihr bietet. „Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite“, sagt Twiehaus. Für den Analytiker ist klar: Amalia wartet so duldsam auf Karl, weil er nur die Projektion bietet, in die sie verliebt ist. Und da sie nicht findet, was sie sucht, ist der Tod die einzig auszuhaltende Möglichkeit. An dieser Stelle der Inszenierung wird ein Text von Hilde Domin zu hören sein: „Das Haus aus Schmerz“. Es gibt auch von Rilke oder Borchert ergänzende Texte. Und zudem Live-Musik der Studenten auf E-Gitarre und Flügel, wie „Hurt“ von Nine Inch Nails, in der es um Selbstzerstörung geht, um sich wieder wahrzunehmen.

Und wie ist das nun mit den acht Fränzen, die nach und nach zu Karls werden? „Das klingt komplizierter als es ist“, beschwichtigt Twiehaus. In der Urversion von Schiller seien die Brüder auch eine Person gewesen. Eigentlich gehe es darum, die unterschiedlichen individuellen Haltungen herauszukristallisieren: eine ist radikaler, die andere zögerlicher, die eine intrigant, die andere sehnsüchtig, es gibt eben viele Schattierungen.

Alle Studenten wollten den Franz spielen, der hat die schöneren Monologe. „Zudem versprüht das scheinbar Böse immer den größeren Reiz. Man ist lieber der Karl, spielt aber lieber den Franz.“ Twiehaus, der schon an der Ernst-Busch-Schauspielschule und an der UdK Berlin sowie in Helsinki mit Studenten arbeitete, mag das Ungebremste. „In gewisser Weise bleibt man dadurch selber länger jung. Ich habe bei Studenten noch nie den Satz gehört: Das funktioniert nicht. Sie fantasieren unbedarfter und bremsen sich nicht von allein aus.“

Wulf Twiehaus, 39 Jahre, fühlte sich während der Proben seiner eigenen Jugend durchaus immer wieder nahe. „Ich bin noch nicht der alte Moor, aber auch nicht mehr der Karl. Ich bin im Zwischenstadium, ahne aber, wohin es geht.“ Bei den „Räubern“ geht es jedenfalls um das Abnabeln, um das auf den eigenen Beinen stehen. „Man möchte selbst jemand sein, den man mag. Aber das schafft man manchmal auch noch nicht mit 40.“

Franz und Karl fühlen die gleiche Ortlosigkeit, das gleiche Heimweh nach etwas, was es gar nicht gibt. Der eine sitzt zu Hause, weiß nicht, wohin mit seinem Potenzial und implodiert. Der andere explodiert und wird zum „Räuber“. „Was alle suchen, ist eine emotionale Heimat, eine innere ,Behausung’, wo man bei sich selber sein kann. Bei mir ist das manchmal auch auf der Probe.“ Zwischen den Karls und den Fränzen.

Premiere am morgigen Donnerstag, dem 15. Dezember, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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