Kultur: „System Miethe“
Der Potsdamer Adolf Miethe und die Farbfotografie / Morgen Vortrag im Kutschstall
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Als vor mehr als einem Jahrhundert, zum Jahreswechsel 1904 auf 1905, der erste Sammelband mit gedruckten Farbfotografien des Fotochemikers Adolf Miethe (1862-1927) erschien, ist das von der breiten Öffentlichkeit wohl kaum als der Beginn einer neuen Epoche in der Geschichte der Fotografie und Publizistik wahrgenommen worden. Tatsächlich jedoch war das Stollwerck-Sammelalbum „Aus Deutschlands Gauen“, sieht man von vereinzelt in Fachzeitschriften publizierten Demonstrationsabbildungen ab, das erste durchgehend mit Farbfotos publizierte Buch überhaupt.
Miethe entstammte einer einflußreichen Potsdamer Familie. Sein Großvater war Schokoladenfabrikant in Potsdam, sein Vater Stadtrat, und die Mutter betätigte sich als Schriftstellerin. Nach seiner Tätigkeit in der optischen Industrie in Rathenow sowie als Vize-Chef der Firma „Voigtländer“ war Miethe, der sich als Erfinder des Magnesium-Blitzpulvers einen Namen gemacht hatte, an die Technische Hochschule nach Berlin berufen worden. Hier fertigte er bereits seit 1902 erste Farbfotos an, indem er eine dreigeteilte Fotoplatte mit Filtern in den drei Grundfarben belichtete. Der geschäftstüchtige Wissenschaftler Adolf Miethe, Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften, popularisierte seine Aufnahmen seit 1903 mit Lichtbilder-Vorträgen in der Urania, ließ sie in eigenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und in den Kinderbüchern seiner Tochter Käthe Miethe drucken und zugleich als Schokoladen-Bildchen verbreiten.
Die ersten Farbfoto-Bände nach dem „System Miethe“ verfolgten vor allem dokumentarische Ziele. Mit enzyklopädischem Anspruch begannen der Erfinder und seine Mitstreiter, Landschaften, Architektur, Volkstrachten und andere Sehenswürdigkeiten im Farbbild festzuhalten. Nicht nur Deutschland, sondern auch die Länder der Habsburger Monarchie sowie die Schweiz, Italien und Griechenland wurden auf diese Weise dokumentiert. In Rußland reiste Nikolaj Prokudin-Gorskii (1863-1944) im Auftrag des Zaren durchs Land, um Architektur, Landschaft und Lebensweisen im Vielvölkerstaat nach dem Verfahren seines deutschen Lehrmeisters Miethe farbig abzubilden.
Während Miethe sich mit Erfolg einer ausgereiften Technik bediente, indem er herkömmliche Fotoplatten benutzte, gingen die Brüder Lumière neue Wege. Sie wandten ein Verfahren an, in dem winzige, verschiedenfarbige Stärkepartikel möglichst gleichmäßig auf die Fotoemulsion der Platte aufgetragen wurden. Diese Partikel übernahmen die Funktion der Filter, wie sie Miethe für seine drei Teilaufnahmen nutzte. Somit war für die eigentliche Aufnahme nur noch eine Fotoplatte nötig, ein Fortschritt, der ab 1907 von der Laienwelt begeistert aufgegriffen wurde. Bis zur Einführung des modernen Farbfilms 1936 existierten beide Verfahren einträchtig nebeneinander, wobei das von Miethe angeregte Verfahren im professionellen Bereich sogar noch bis Mitte der fünfziger Jahre Bedeutung hatte. Peter Walther
Vortrag über Adolf Miethe morgen, 19 Uhr, im Haus der Brandenburgisch-preußischen Geschichte im Kutschstall innerhalb der Ausstellung „Auslöser Potsdam“ des Potsdam-Museums mit Peter Walther.
Peter Walther
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