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Kultur: „Tagsüber ist der Standort tot“

Heinrich Liman über sein Museum „FLUXUS+“ und seine Ideen zur Belebung der Schiffbauergasse

Stand:

Er wurde denkmalgerecht wiederhergestellt und ist das Vorzeige-Erlebnisquartier der Stadt. Doch immer wieder wird behauptet, der Kulturstandort Schiffbauergasse sei totsaniert. In unserer Sommerreihe „Schiffbauergasse“ schauen wir auf den jetzigen Zustand und fragen, was könnte und was müsste sich verändern, um mehr Leben in das Areal am Tiefen See zu bringen. Heute betrachten wir das bislang noch recht wenig besuchte Museum „Fluxus+“.

Herr Liman, Sie feiern derzeit in Ihrem Museum „Fluxus+“ 50 Jahre Fluxusbewegung. Sind Sie nach fünf Jahren mit Fluxus am Standort Schiffbauergasse angekommen?

Ob wir als Museum nach knapp fünf Jahren hier in Potsdam angekommen sind oder nicht – ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich merke nur, dass das Thema Fluxus kompliziert ist. Mary Bauermeister, mit der wir die Feierlichkeiten zu 50 Jahre Fluxus gestartet haben, sagt, dass der Begriff Neo-Dada diese Kunst wohl besser fassen würde. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Dada-Bewegung unterdrückt. Dann, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Wiederaufbau von Deutschland, dachten die Leute über gesellschaftliche Veränderungen nach und stellten alles infrage. Mary Bauermeister scharte in ihrem Atelier in Köln bereits 1960 die künstlerische Avantgarde der Nachkriegszeit um sich. John Cage, Christo, Ben Patterson, Wolf Vostell und viele andere gehörten dazu.

Was heißt eigentlich Fluxus?

George Maciunas prägte 1962 in New York diesen Begriff als Titel für eine von ihm konzipierte Kunstzeitschrift. Fluxus, lateinisch fließend, bedeutet, dass sich ehemals getrennte Kunstrichtungen wie Musik, Theater, Literatur und bildende Kunst vereinigen. Sie fließen ineinander zu einer Aktion, schaffen einen Übergang von Kunst und Leben. Fluxus umfasst alle Lebensbereiche, alles Schreckliche, alles Schöne, alles kann zur Kunst erklärt werden. Viele Künstler aus dem Umfeld von Mary Bauermeister findet man als Fluxus-Künstler wieder. Ihre Aktionen, die man auch Fluxus-Konzerte nannte, waren Protest gegen das Establishment. Anfangs zertrümmerte man auch Instrumente. Es war – nach Dada – der zweite Angriff auf die bürgerliche Kunst. Letztendlich kann man hierin auch einen Baustein zur späteren 68er-Bewegung sehen.

Und wie steht es heute um Fluxus oder um Neo-Dada? Gibt es noch diese Bewegung im Sinne von Joseph Beuys, der vom Kunstwerk als „soziale Plastik“ sprach?

Vielleicht ist Neo-Dada oder Fluxus ein wenig aus dem Fokus geraten. Aber jetzt sind wir wieder an den Punkt gekommen, wo sich die Kunst an vorderster Front der gesellschaftlichen Veränderungen positioniert. Es gibt jede Menge Krisen auf der Welt und die Künstler reagieren darauf. Mitunter bei Einsatz ihres Lebens. Es geht um Inhalte, nicht darum, ob es Fluxus heißt. Wer Fluxus-Künstler ist oder was Fluxus ist, darüber wurde schon in der Anfangszeit heftig gestrittenen. Maciunas, der sich zum Organisator der Bewegung aufgeschwungen hatte, exkommunizierte Künstler, nahm andere auf, man stritt sich mit Kunstkritikern. Man versuchte, sich dem Kunstbetrieb, der Vermarktung, dem Kommerz zu entziehen, musste aber doch von irgendetwas leben. Diese Widersprüche wollen wir nach 50 Jahren erlebbar machen. Und mit Mary Bauermeister, die sich ebenfalls jeder Etikettierung versagte, sind wir gestartet.

Wie viele Menschen interessieren sich für Ihre private Fluxus-Kunstsammlung? Angetreten sind Sie ja mit einer Wunschvorstellung von 50 000 Besuchern im Jahr.

Es kommen vielleicht 10 000 bis 12 000 Leute in den Museumsshop und die Sonderausstellungen und davon gehen etwa 2000 ins Museum. Das ist zwar nicht viel und weit unter unseren Erwartungen. Aber im Vergleich zu anderen Museen ist es dann auch wieder nicht so schlecht. Auch andere kleinere Museen haben nicht so viele zahlende Besucher. Aber es ist immer diese Sache: Einem richtigen Museumsdirektor geht es um Inhalte, die Besucherzahlen sind nicht so wichtig. Für uns ist es aber wichtig, Einnahmen zu erhalten, denn wir bekommen keine Zuschüsse. Es wäre also schon gut, wenn mehr Gäste kommen würden. Unter dem Namen Museum für zeitgenössische Kunst hätten wir es sicher einfacher.

Aber Sie haben ja selbst den Namen gewählt.

Ja, das ist auch ein Stück Selbstkritik.

Wobei die Kunst deswegen nicht leichter wird.

Moderne Kunst ist nun mal schwer zu verstehen. Bekomme ich sie nicht erklärt, habe ich damit ein Problem. Das geht mir als Kunstliebhaber nicht anders. Es ist nicht alles selbsterklärend. Wer nur so durch die Ausstellung geht, auch bei Mary Bauermeister, kann nur erahnen, was sich hinter ihrem Projekt „Zopf ab“ verbirgt, in der sie die Farben der deutschen Nationalflagge auf den Kopf stellt. Deshalb bieten wir immer auch Führungen und Begleitmaterial an.

Was kann man machen, um Barrieren abzubauen? Wie kriegt man dennoch Leute ins Haus?

Wir sind ja trotzdem ganz zufrieden. Man kennt uns mittlerweile in Deutschland und Europa und es gibt auch Kontakte nach Amerika. Man muss unterscheiden, was am Standort passiert und das, was hier im Museum veranstaltet wird. Aber man muss auch sichtbar sein, und da sind wir überhaupt nicht zufrieden. Es ist ein Standort, der tagsüber tot ist. Warum sollte man hier herkommen? Laufpublikum wäre gut. Deshalb brauchen wir eine kleinteilige Nutzungsstruktur. Das war mal so geplant, aber es wurde nicht realisiert.

Die Schiffbauergasse ist der Kulturstandort der Stadt, der mit 100 Millionen Euro denkmalgerecht saniert wurde. Was ist Ihre Vision für dieses Areal?

Den Schirrhof als ein Quartier, das besonders steril saniert wurde, mit ganz vielen Lädchen füllen, mit Einrichtungen, wo Künstler arbeiten und verkaufen, kleine Shops mit Kunsthandwerk. Es muss auch etwas zu essen und zu trinken geben: eine Mischung, die einzigartig ist und für eine Aufenthaltsqualität sorgt. So wie bei der „Stadt für eine Nacht“ müsste es jeden Tag sein, mit den kleinen Raumkörpern und der Vielfalt. Davon würden alle etwas haben.

Woran scheitert es?

Es muss nachverdichtet werden, und es müssen Räume für eine kleinteilige Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Es gibt ja Vorschläge. So könnte im Schirrhof eine ein- bis zweigeschossige temporäre Container-Bebauung erfolgen, mit Pflanzen, die an Gerüsten hochranken: mit einer flexiblen Nutzung. Zum Teil gibt es am Standort eine falsche Nutzung. Da, wo Leben sein könnte, wie in der Offizze, sind Büros drin. Und auch ein Softwarehersteller Oracle trägt nicht viel zur Belebung des Areals bei. Ich habe eine ganze Liste mit Vorschlägen, mit der ich in der Stadt immer wieder vorspreche. Aber es fehlt wohl an Geld, um nachzurüsten.

Ihr Haus selber macht ja nun auch nicht gerade neugierig. Avantgarde im mausgrauen Gebäude. Da sprüht nichts nach außen.

Wir hatten ja ursprünglich geplant, ein riesiges Auto als Museum zu parken, was aber auf großen Widerstand traf. Es war meine Absicht, ein Gebäude zu haben, das auffällt und das die Leute anzieht. Diese Fassade am Schirrhof ist einfach eine Katastrophe. Als Eigeninitiative haben wir bereits an zwei Außenfassaden jeweils ein Kunstwerk anbringen lassen, um Besucher neugierig zu machen.

Werden Sie trotzdem an dem Standort festhalten?

Wir haben einen Zehn-Jahresvertrag mit der Option zur Verlängerung. Eigentlich möchte ich hier bleiben. Es müsste ja auch eine Alternative da sein.

An der Idee des Museums halten Sie also fest?

Ja, es gibt engagierte Mitarbeiter. Wir werden dann, wenn die Zeit kommt, ich werde ja nicht jünger, entscheiden.

Sie sind ja mit den bunten Figuren von Emmett Williams auch schon nach außen getreten und in die Stadt gewandert, um neugierig zu machen. Was ist daraus geworden?

Das werden wir auch wieder machen. Wir versuchen auch über Reiseanbieter, die Zielgruppe Touristen zu erreichen. Aber es braucht seine Zeit. Die Touristen kommen beim ersten Mal nur wegen der Schlösser und Gärten nach Potsdam. Sollten sie ein zweites oder drittes Mal die Stadt besuchen, wollen wir sie natürlich auch bei uns haben. Aber das scheint noch ein weiter Weg. Allein schon an Wegweisern fehlt es weitgehend. Aber es muss sich ein Ausflug in die Schiffbauergasse auch insgesamt lohnen. Wir kriegen vor allem die ausländischen Potsdam-Besucher, die etwas mit dem Namen Fluxus verbinden.

Und wie werben Sie um das Potsdamer Publikum?

Fünf Jahre sind für ein Museum nicht viel. Es braucht Zeit für Kontakte, auch in Richtung Schulen und Kitas. Mittlerweile haben wir ein paar Anlaufstellen. Zum dritten Mal gab es in diesem Jahr auch den Studenten-Kunstwettbewerb. Es gab dieses Mal viele Bewerbungen aus Berlin und Brandenburg, aus denen wir auswählen konnten. Das hat Spaß gemacht.

Bringt so eine Zusammenarbeit neues Publikum?

Ja, aber es braucht auch viel Geduld.

Vielleicht ziehen auch die Namen der Künstler nicht so. In der DDR war die Fluxus-Bewegung weitgehend unbekannt. Hat sich da nach 22 Jahren etwas geändert?

Die Frage der Bekanntheit ist so ein Ding. Da muss ich selber erkennen, dass man nichts voraussetzen darf. Auch Wolf Vostell, mit dem ich bis zu seinem Tod 1998 befreundet war und von dem ich eine Vielzahl von Arbeiten im Museum zeige, ist in diesem Sinne nicht so bekannt. Da sind zwar seine aufragenden „Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ am Rathenau-Platz in Berlin. Aber die meisten wissen nicht, dass sie von ihm sind. Auch Yoko Ono bringt man nur mit den Beatles in Zusammenhang, und nicht damit, dass sie eine eigenständige Fluxus-Künstlerin ist.

War die Entscheidung richtig, sich in Potsdam anzusiedeln?

Es hat sich so ergeben, weil ich ein Unternehmen in dieser Stadt habe. Ich weiß, dass dieser Standort Schiffbauergasse für viele lange Zeit gar nicht existent war. Das ist auch noch so ein Problem. Vor der Wende waren die Russen hier. Dann hat sich die alternative Szene angesiedelt und das bürgerliche Potsdam traute sich nicht her. Erst mit dem Neubau des Hans Otto Theaters ist das anders geworden. Das muss man alles mit betrachten. Ich hoffe, dass die Stadt endlich etwas tut, um nach der baulichen Sanierung nun auch kleine spannende Dinge hierher zu bekommen, die die Funktionsschwäche beseitigen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Heinrich Liman, geboren 1946 in Pößneck (Thüringen), Unternehmensverwalter und seit 2008 Geschäftsführer des Museums fluxus+, wohnt in Berlin, ist verheiratet und hat eine Tochter.

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