Kultur: Theater rettet
2005 hat das Land weniger Geld für freie Theater ausgegeben. Frank Reich vom Verband der Freien Theater erklärt, was dahinter steckt und welche Rolle das Theater heute hat
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Ost gegen West, Lesbierinnen gegen Normalos, Deutsche gegen Ausländer. Es geht heiß her in „Sonst ist alles wie immer“. Ein 90. Geburtstag, ein Pole, vier ältere Damen mit Anhang, die den Vater aus dem Heim holen, um mit ihm zu feiern. Die 2004 mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnete Theatergeschichte von Ralf-Günter Krolkiewicz, dem ehemaligen Intendanten des Hans Otto Theaters, hat keine Tabus, ist provokativ, bringt Familienleben zum Kochen. „Flottes wie bitteres Volkstheater“, sagt Frank Reich zu dem vom Brandenburg/Berliner Theater ’89 inszenierten Stück, das am Samstag in Niedergörsdorf Premiere hat. Eine Tragikomödie, die sich mit dem Leben, mit den Menschen auseinander setzt, die sich reibt an gesellschaftlichen Themen.
Und genau das macht Theater aus, sagt der Chef des Landesverbandes Freier Theater in Brandenburg. Er sitzt an seinem Schreibtisch am Fenster in einem kleinen Büro im ersten Stock des Offize in der Schiffbauergasse. Dort wo er sonst die Feuilletons der Zeitungen liest, die Arbeit der Landestheater vernetzt, Gastspielorte sucht und den Austausch der Theater anregt. Fünf Stadt- und Staatstheater hat Brandenburg, 25 freie Theater, von denen 19 im Theaterverband organisiert sind. In Potsdam gehören u.a. die fabrik, das Poetenpack, Ton und Kirschen, das T-Werk und Paula E. Paul dazu.
In einer Welt im Wandel, die nach neuen Werten sucht, von Gewalt, Arbeitslosigkeit, knappen Kassen und kaputten Familien geprägt ist, muss Theater Gegenbilder schaffen, sagt Reich: „Theater zeigt Ansätze zum Überleben“. Das ist seine Aufgabe. Dahin wird es in Zukunft noch stärker gehen. Auch das Land hat die mögliche Rolle des Theaters als Gesellschaftsentwickler erkannt. Reich zieht eine neue Statistik aus dem Drucker: über Finanzierungen und Zuschauerzahlen der freien Theater 2005. Die Zahlen sehen zunächst einmal gut aus. Mit mehr als 20 Prozent beteiligt sich das Kulturministerium an der Gesamtfinanzierung der Theater. Sieht man aber genauer hin, ist die Förderung des Ministeriums um 40 000 Euro vergangenes Jahr zurückgegangen, aus kommunalen Kassen wurden knapp 15 000 Euro weniger gezahlt, und auch von der Landesagentur für Struktur und Arbeit kamen fast 400 000 Euro weniger. Eintrittskarten pro Zuschauer hat das Land mit 31 Cent weniger unterstützt als noch im Vorjahr. Demzufolge sank die Anzahl der Vorstellungen um 148.
Wenn diese Zahlen die Theaterwelt auch treffen, sie sind kein Zeichen für weniger Akzeptanz durch das Land, sagt Reich. Die Freien seien nach wie vor politisch gewollt. Der Haken für das Minus liege vielmehr an den Kofinanzierungen vieler Projekte: Wenn keine kommunalen Gelder zusammenkommen, fallen auch die Landesgelder weg.
Für die Kulturpolitik in Brandenburg wählt er Worte wie „modern“ und „vorausschauend“. „Die Kulturpolitik ist ein ehrliches Bekenntnis zur Armut“, sagt Frank Reich. Seit 15 Jahren stelle sich das Land auf kleiner werdende Städte und weniger Geld für Theaterhäuser ein, fördere deshalb freie Strukturen und versuche, hochflexible, qualitative wie hochmobile Theaterformen auf den Weg zu bringen. Da sei Brandenburg vielen anderen Bundesländern voraus. Nur bei der Neugründung von Theatern werde zu wenig Geld vom Land bereit gestellt. Auch müssten Kooperationen mit Polen finanziell mehr gefördert werden, zu wenig werde dafür getan, schon bestehende Netzwerke vom Theater des Lachens, Piccolo-Theater oder Unidram zu erhalten. Ein weiteres Problem, mit dem die freien Theater zu kämpfen haben, ist, dass die städtischen Bühnen ihnen für ihre Aufführungen keinen Raum geben. „Warum nimmt das Hans Otto Theater zum Beispiel keine Produktion von Ton und Kirschen in seinen Spielplan auf?“
Theater ist Imagination, ein Spiel mit geschmeidigen Regeln. „Es macht die Gedanken und Gefühle beweglicher und unser Gemüt anfälliger für Schönheit. Es kann die Welt verbessern“, sagt der Theatermann. Wenigstens ein bisschen.
Marion Hartig
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