Kultur: Tiefe Spiritualität
Zwei Konzerte zum Start von Vocalise 2007: Requiem von Mozart und Gesänge des Hilliard Ensembles
Stand:
„Da der Tod genaugenommen der wahre Endzweck des Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht – so jung als ich bin – den andern Tag nicht mehr sein werde.“ In diesen Worten des nur 29-jährigen Mozart äußert sich ein sehr reflektiertes, versöhnliches Verhältnis zum Tod. 1791 setzte er sich mit diesem Thema auch kompositorisch auseinander – durch den Auftrag, ein Requiem, eine Totenmesse, zu vertonen. Dass ausgerechnet diese Arbeit von Mozarts eigenem Tod unterbrochen werden sollte, gab viel Anlass zu Spekulationen.
Ud Joffe hat das Mozart“sche Requiem, das zu den meist musizierten Totenmessen gehört, zum Auftakt der diesjährigen Potsdamer Vocalwoche „Vocalise“ ausgewählt. Es erklang am vergangenen Freitag in der Erlöserkirche, zwei Tage vor dem Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt.
Das Requiem in d-Moll ist aber nicht nur ein Werk, das schön klingt, sondern von einer inneren Haltung erzählt, die Leben und Sterben miteinander verbindet. Mozarts Musik zu dem mittelalterlichen Text malt die Schrecken des Jüngsten Gerichtes fast belastend aus, sie hält aber auch Trostreiches und Hoffnungsvolles bereit. Und beide Dimensionen wusste der Dirigent Ud Joffe in seiner Interpretation eindrucksvoll zu beleuchten.
Dafür standen ihm zwei hervorragende Ensembles zur Verfügung, mit denen er seit einigen Jahren intensiv und erfolgreich arbeitet: der Neue Kammerchor und das Neue Kammerorchester Potsdam. Herb und scharf geschnitten erklang der Introitus, in der die Trauer über einen Verstorbenen hörbar wird. Das düstere Bild, in das von Schrecken und Ängsten erzählende „Dies irae“ beim Jüngsten Gericht ist von eindringlicher Wirkung, nicht anders das „Confutatis“. Joffe sowie die Singenden und Musizierenden stellten die zwei unterschiedlichen Ebenen des Lebens klanglich mit Intensität dar: bedrohlich und wild wirkt das Motiv der Bässe und Tenöre, die Posaunen sind kalt und unbarmherzig, die zarte Bitte der Frauen mit „Voca me“ (Ruf mich zur sel“gen Wohnung) schwebt dagegen über dem Ganzen als wäre es ein Engelsgesang. Der zweite Teil – ein inniges Gebet, in dem um den Beistand Gottes im eigenem Sterben gebeten wird, ergriff in Joffes Wiedergabe zutiefst. Dem Todesschauer und der Jenseitshoffnung war man an diesem Abend sehr nahe.
Lyrische Schönheiten und damit Trostreiches kommt vor allem auch vom Solistenquartett mit Brigitte Geller, Sopran, Hildegard Wiedemann, Alt, Daniel Sans, Tenor, und Raimund Nolte, Bariton. Leider konnte Frau Geller an diesem Abend nicht überzeugen, ganz im Gegensatz zu den anderen Solostimmen. Ihr Sopran klang merkwürdig fahl, eben ohne Glanz.
Mozart musste die Arbeit im Lacriomosa nach acht Takten abbrechen. Es waren seine letzten Noten überhaupt. Die Ergänzung stammt von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr. Nach dem Lacrimosa schob Joffe ein anderes Reqiuem ein, eines, das nicht der Liturgie verpflichtet ist: von dem japanischen Komponisten Toru Takemitsu aus dem Jahre 1957. Das ganz und gar der Stille verpflichtete zehnminütige Werk, nur für Streicher komponiert, war eine Zäsur inmitten der Mozart“schen Klangpracht, eine gute Meditation zu den unterschiedlichsten Farben und Stimmungen, die die lateinische Totenmesse bereithält.
Ud Joffes Stärke Programmgestaltung hält stes Interessentes parat, der man sich nicht entziehen kann, So setzte er dem Mozart-Requiem, ein kurzes Werk von Igor Strawinsky voran: „In Memoriam Dylan Thomas“. Trauer-Kanons und ein Lied des walisischen Dichters Dylan Thomas für Tenor (Daniel Sans) reflektieren die ganz persönliche Trauer über den Verlust eines lieben Menschen, die Einsamkeit und das Rebellieren gegen den Tod. Die reizvolle Besetzung mit Tenor, Streichquartett und vier Posaunen gibt den Aufschrei und die Trostlosigkeit musiklalisch ein ergreifendes „Gesicht“.
Kurz nach dem Verklingen des „Reqiuem aeternam“, also am Schluss des Abends, brandete langer verdienter Beifall auf. Doch nach einer Totenmesse wirkte er deplaziert. Die Ergriffenheit und Dankbarkeit kann sich auch im schweigenden Auseinandergehen manifestieren. Vielleicht noch besser.Klaus Büstrin
Das knackende Holz der Kirchenbänke als oftmals einzig störendes Nebengeräusch, gelegentlich nur ein verhaltener Husten. Selten hat man ein so diszipliniertes Publikum erlebt, wie beim Auftritt des britischen Hilliard Ensembles am Samstag in der Erlöserkirche. Vielleicht lag es an den Texten der Lieder, die das Vokalensemble unter dem Titel „Arkhangelos“ präsentierte, die durchweg religiöse Themen aufgriffen. Vielleicht auch am Ort dieses Konzertes. Hauptgrund jedoch werden die vier Stimmen von David James (Alt), Steven Harrold und Rogers Covey-Crump (Tenor) und Gordon Jones (Bariton) gewesen sein, die mit dem ersten Ton jedes einzelnen Liedes eine Stimmung schufen, die absolute Aufmerksamkeit nicht forderte sondern zwanglos aber umso unmissverständlicher erbat. Dabei hat das Hilliard Ensemble es den Zuhörern in der fast ausverkauften Erlöserkirche nicht leicht gemacht.
Frühe und moderne christliche A-cappella-Musik aus der englischen, griechischen, russischen und armenischen Tradition war zu hören. „... here in hiding...“, eine Komposition des Schotten James MacMillan, die mit dem siebenstrophigen „Adoro te devote“ eine von fünf Hymnen des bedeutenden Kirchgelehrten Thomas von Aquin anlässlich der Einführung des Hochfestes Fronleichnam aufgreift, eröffnete den Abend. MacMillan hat in den lateinischen Originaltext die englische Übersetzung eingefügt und so ein Stück geschaffen, das sich bruchhaft gibt, unbequem. Versatzstücke, die sich aneinander reiben und nur selten harmonieren. Es folgte der Choral „Ote to stauron“ aus dem Manuskript des San Silvestro di Nonantola, entstanden im 11. oder 12. Jahrhundert, der von David James“ lyrischer Altstimme getragen zu einer fast schon entrückten Klage wurde. Dieser Wechsel zwischen alten, oft ursprünglichen Kirchenliedern und modernen Kompositionen ist programmatisch für das Programm „Arkhangelos“ des Hilliard Ensembles.
Entstanden ist die Idee zu diesem Programm durch einen Besuch der vier Musiker im armenischen Kloster Saghmosavank vor drei Jahren, um dort bis zu 1600 Jahre alten Sharakans, die Gesänge der armenischen Kirche, aufzuführen. Die vier Sharakans, die vom Hilliard Ensemble in der Erlöserkirche gesungen wurden, gehörten zu den strahlendsten und erhabensten Momenten des Abends. Musikalische Kleinode in ihrer Schlichtheit und tiefen Spiritualität. Dazu muss auch Arvo Pärts wunderbar minimalistisches und tief berührendes „Most Holy Mother of God“ gezählt werden.
Am Ende mit Alexander Raskatov ein zeitgenössischer Komponist, der in seinen fünf Hymnen altslawische Gebete auf eigenwillige, kontrastreiche und nicht immer leicht zugängliche Art aufgreift. Dem Hilliard Ensemble wurden diese Hymnen jedoch zur sichtlichen Lust am Stimmlichen. So zeigten die vier Musiker an diesem Abend mit fast jedem Lied, warum das Hilliard Ensemble zu den Herausragendsten in Sachen Vokalensemble gehört. Weil hier der Gesang als klarste, unmittelbarste und ehrlichste Form der Musik zu erleben war: Vier Stimmen, die zu einer wurden.
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: