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Kultur: Tote Tiere und Leihmütter
Theater von morgen: Drei Stücke von jungen Dramaturgen in der Reithalle
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Völlig verzweifelt steht Alf auf dem Küchentisch. Mit weit aufgerissenen Augen rudert er mit den Armen im Nichts: „Ich schmelze dahin bei deinem flehenden Blick. Ich wünsche mir nichts lieber, als die Nacht mit dir zu verbringen.“ Vor ihm auf dem Boden: sein Fahrrad. Ein Moment Stille in der Reithalle des Hans Otto Theaters, dann bricht der Applaus los. Der Monolog steht am Ende des Stücks „Hose Fahrrad Frau“ von Stefan Wipplinger. Fabian Raabe spielt mit bemerkenswerter Intensität und Präzision den Fahrradliebhaber.
Wie die Schreiber der beiden anderen Stücke, die an diesem Abend gespielt werden, studiert Wipplinger an der Universität der Künste in Berlin Szenisches Schreiben. Wipplinger habe beim Schreiben etwas wiederentdeckt, das es im Theater schon einmal gegeben habe: den Dialog, sagt John von Düffel. Der Potsdamer Schriftsteller („Wassererzählungen“) und Hochschullehrer moderiert die Stücke jeweils mit einem kurzen Gespräch an. Es habe ihn überrascht, dass es beim Szenischen Schreiben nicht üblich ist, dialogisch zu arbeiten und zu denken, entgegnet Wipplinger. Aber gerade der Dialog interessiere ihn. Sein Stück kreist um das Thema Eigentum und Besitz. Fünf Menschen suchen das Glück im Eigentum und müssen erkennen, dass es eine Illusion ist.
Michaela bittet ihre Freundin Janne, für sie ein Kind auszutragen. Janne, zunächst nicht sonderlich begeistert, stimmt dann dem unehelichen Beischlaf mit Alf doch zu. Als Alf aber während des Akts mit der Freundin seiner Frau anfängt von Liebe und Begehren zu säuseln, weiß Janne, dass es so nicht geht. Die Schauspielerin Lisa Heinrici beeindruckt nicht nur als fahnenflüchtige Leihmutter. Als Janne sich beim Wohnungstauschpartner vorstellt, entsteht in einem pointierten Dialog eine changierende Persönlichkeit. Jede Sekunde kippt Heinrici von einem Spannungszustand ins nächste Extrem und bleibt sich ihrer selbst dabei doch seltsam bewusst. Das Wechselbad fesselt und amüsiert.
Die Suche nach Zärtlichkeit treibt auch die Figuren der beiden anderen Stücke um. Bei Uta Bierbaums „Die Zärtlichkeit der Hunde“ wird ein totes Kind in einer Mülltonne gefunden. Die Protagonisten versammeln sich ums Grab, besorgen Blumen vom Friedhofsgärtner. Im Verlauf des Stückes werden gebrochene Persönlichkeiten sichtbar. Elvis, der beruflich tote Tiere entsorgt, entführt nachts Hunde, um sie zu streicheln und sich an ihnen zu wärmen. Zwei Schwestern loten beim Spielen ihr Verhältnis zueinander und zu anderen aus. Tiere sind der positive Gegenpol zur Grausamkeit der Menschen, müssen aber auch leiden, wenn etwa dem Hund des Junkies der Schwanz in der U-Bahn eingeklemmt wird. Als Elvis eine der Schwestern zum Restaurantabend abholt, bemerkt sie im Auto den Geruch der toten Tiere. Elvis fährt den Wagen an den Waldrand. Ob dann eine Vergewaltigung folgt, ist nicht völlig klar, harmonisch erscheint das Beisammensein jedenfalls nicht. Zwar wirken die einzelnen Szenen reichlich beklemmend, aber der Stoff ist aus dem Leben gegriffen. Die Motive verdichten, was in den Medien flimmert und geschrieben steht. Das produziert eine erhebliche Spannung. Wahrscheinlich kommt es dem Stück zugute, dass die Autorin bereits „ein Leben vor dem Studium hatte“, wie von Düffel formuliert. Die Erfahrungen der Dramaturgin als Flughafenarbeiterin oder Kellnerin waren sicher hilfreich, um aus den realen Vorlagen lebendige Theaterfiguren zu kondensieren.
Auch Walter sehnt sich in „Nieves“ von Elsa-Sophie Jach nach Zärtlichkeit, eigentlich von seiner Frau. Aber im Lauf des Stückes wird deutlich, dass Walter sich wohl auch an seiner Tochter vergriffen hat. Eine Neurowissenschaftlerin, ein Mann, Clemens, der gerne ein Kind im eigenen Bauch hätte, eine Schneekriegerin, die blutend am Straßenrand liegt, prallen aufeinander. Figurenkonstellationen entstehen und zerfallen, Blut fließt, Körperflüssigkeiten werden mit dem Strohhalm aufgesaugt und im Hintergrund arbeiten zunächst die Maschinen aus dem Film „Metropolis“, dann rieselt der Schnee. Schon das Szenario wirkt reichlich surreal. Aus der zugrunde liegenden dysfunktionalen Familiensituation entwickeln sich Szenen, die ans Absurde grenzen. Das poetische Grundmotiv des Schnees – Nieves ist das spanische Wort für Schnee – verleiht dem Szenario den Anstrich eines bösen Traums, der den Zuschauer in seinen Sog zieht.
Von surreal anmutender Poesie bis zum hintergründigen Wortgefecht spannte sich der Bogen der Stücke. Alles sehr dicht, spannend und konzentriert. Das macht neugierig auf das Theater der jungen Autoren. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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