
© Manfred Thomas
Von Heidi Jäger: Trügerische Idylle
Steffen Mühles Bilder verunsichern: der Stipendiat forscht zwischen Irritation und Augenzwinkern
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Auf seiner Blümchentapete wächst immer auch eine „Distel“. Was auf dem ersten Blick ein idyllisches Kleinbürgerleben suggeriert, sorgt beim zweiten Schauen für Verstörung. Das „Traumhaus“ mit berankter Veranda scheint durchaus gemütlich zu sein. Doch die schwarzen Fenster lassen nichts Gutes ahnen. „Die meisten Morde passieren in deutschen Wohnzimmern. Unter der Blümchentapete schlummert ganz viel Aggression“, sagt Steffen Mühle, während er beim Kaffee durch sein Werkkatalog blättert. Auch das Lachen des Mädchens am Wasser auf seinem Bild „Hai“ nimmt gefangen – und irritiert. Ihr Kleid und das aufgezogene Segel aus militärischem Tarnstoff konterkarieren die friedliche Stimmung.
Steffen Mühles Bilder sind wie Seismografen. Sie spüren gesellschaftliche Minenfelder auf, ohne sie mit Gewalt zu sprengen. Und gerade diese Doppelbödigkeit machen sie so besonders. Das erkennen offensichtlich auch immer wieder Juroren, die über Stipendien entscheiden und den Fotokünstler seit seinem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bereits zum zehnten Mal für eine Unterstützung auserkoren haben. Das jetzige Stipendium des brandenburgischen Kulturministeriums in Höhe von 2000 Euro für insgesamt vier Monate lässt zwar nicht wirklich ein befreites Ablegen zu, aber Steffen Mühle freut sich dennoch, „Brandenburg ist nun mal ein armes Land“. Außerdem hat er sich ein zweites Standbein zugelegt, mit dem er die freiberuflichen Unwegsamkeiten umschifft.
Das war vor fünf Jahren, als er drohte, in einem Loch zu versinken. Nachdem seine langjährige Lebensgefährtin verstarb, musste er sich plötzlich allein um die damals 10-jährige Tochter kümmern. Nicht nur Existenzängste setzten ihm zu. Doch irgendwann zog ihn die Kunst wieder ins Leben zurück. Und auch die Halbtagsstelle bei den Kulturfesten Brandenburg als Buchhalter gab ihm Stetigkeit und das Geld für Miete und etwas im Kühlschrank.
Der 49-jährige „Grenzgänger“ hat sein Lachen wiedergefunden, dass er schelmisch wie ein Lausbub aus seinem hellblauen Kapuzenshirt versendet. Steffen Mühle kann auch über sich selber lachen. Als er nach einer Ausstellung im Kutschstall vor rund zehn Jahren im Gästebuch für seine Bilder böse beschimpft wurde, dass sie Kitsch und keine Kunst seien, war ihm das zwar nicht egal, doch er wusste sich dennoch auf dem richtigen Weg. „Inzwischen ist das nicht mehr so ein Verbrechen“, witzelt er und weiß um die Nachahmer seiner Blümchentapete.
Die ist bei Steffen Mühle schon lange nicht mehr aus richtigem Papier, wie noch 1997, als er mit einem Stipendium nach Brasilien fuhr, die dicken Tapetenrollen im Gepäck und ein Glas seines selbst angerührten Zaubermittels. Die Rezeptur für diese Fotoemulsion, die er über alle möglichen Bildformate strich, fand er in historischen Büchern.
Seine ersten großen „Tapeten-Ausstellungen“ waren wie ein Probelauf, Käufer fanden sie kaum. Anders als vor zwei Jahren im Kunstraum Potsdam oder 2009 in Luckenwalde, wo fast alle Bilder auf kauffreudige Gegenliebe stießen. Ein Zeichen für die gefundene Balance zwischen Schein und Sein, Ernst und Humor, die er immer besser auslotet: die Deutungsweite bewahrend. Steffen Mühle ist einer der innovativsten Vertreter der aktuellen Fotokunst, der auch international mitredet, wie bei der Rohbaukunst, in der Villa Massimo in Rom oder in Kiew im Museum of Contemporary Art.
Seine erste Ausstellung in Potsdam, Anfang der 90er im Persiusspeicher, zeigten noch rabenschwarze Röntgenbilder mit dem eigenen Konterfei, die ihn fast selbst depressiv werden ließen. „Keiner wollte so etwas sehen, und alle fragten besorgt: Wird er uns noch lange erhalten bleiben?“ Da hatte der Sohn eines Kameramanns schon eine reich gepflasterte Wegstrecke zurückgelegt. Infolge seiner Weigerung, drei Jahre zur Armee zu gehen, konnte er erst an der Abendschule das Abitur ablegen. Dafür hatte er den Facharbeiter als Reprofotograf in der Tasche, der ihn bis heute ästhetisch begleitet. Sieben Jahre fotografierte er in Sanssouci mit der Plattenkamera und wäre doch beinahe Dramaturg statt Fotograf geworden, aus Liebe zum Schreiben. Wenn er sich an sein Aufnahmegespräch an der Babelsberger Filmhochschule erinnert, schüttelt er noch immer den Kopf. „Ich sollte ,Wege übers Land’ rezensieren und dem Parteisekretär die Verantwortung des Künstlers darlegen. Das Gespräch lief völlig aus dem Ruder. Nichts mit Kreativschmiede.“ Und so führten ihn seine Wege in ein anderes Land: zumindest bis nach Sachsen. Da war er 27 und der Jüngste im Studienjahr. Wieder regierte die spätstalinistische Maßregelung. Wie die zehn Jahrgänge vor ihm, sollte auch Steffen Mühle im zweiten Studienjahr eine Eigenheimsiedlung in Schwarzenberg fotografieren. Doch er traf einen Denkmalpfleger aus Salzwedel, der erzählte, dass in seinem Ort alles einzufallen droht. Und so fuhr Steffen Mühle eben nach Salzwedel und handelte sich eine Exmatrikulations-Androhung ein. Dennoch fotografierte er auch die Montagsdemos an der Nikolaikirche, gemeinsam mit dem Potsdamer Frank Gaudlitz, der mit ihm in einem Studienjahr war. Immer die Androhung im Ohr: Wer sich erwischen lässt, fliegt. „So nahmen wir zwischendurch die Filme aus der Kamera und versteckten sie in einer Tasche am Fahrrad, das wir am Rande abgestellt hatten. Das klingt heute wie James Bond, machte uns damals aber richtige Angst, auch angesichts des Aufgebots Uniformierter.“
Doch dieses Gefühl, mittendrin zu sein, etwas bewegen zu können, sei einmalig gewesen. Und auch schnell zu Ende. „Heute sind wir wieder in der gleichen Situation: Man guckt zu und distanziert sich. Das ist schade, aber wohl das Normale.“ Jetzt regt sich seine inzwischen 16-jährige Tochter auf, wenn es irgendwo klemmt. „Und ich beschwichtige abgeklärt: ,Nimm es doch nicht so persönlich’.“ Ihre Fotos von der Leipziger Demonstration zeigten Gaudlitz und Mühle im November 1989 in Potsdam: in der Kunstfabrik, die sie beide in einem leer stehenden Hinterhaus in der Hermann-Elflein-Straße gründeten. Am Wochenende organisierten sie dort Ausstellungen und Konzerte, innerhalb der Woche wurde studiert. „Alles ging wie von selbst, wir hatten einfach viel Kraft.“ Zwei Jahre später gaben sie die Verantwortung in andere Hände. Steffen Mühle konzentrierte sich nun auf sein Meisterstudium und laborierte mit Material, das schon vorhanden war, „gerade weil täglich so viele neue Fotos entstehen.“
Inzwischen entwickelt er am Computer seine malerischen Bilder und Ornamente. Nichts passiert mehr mechanisch. Statt mit Papier und Emulsion „kittet“ er jetzt mit Fotoprogrammen seine spiellaunigen „Collagen“ immer virtuoser zusammen. Das Foto dient ihm dabei lediglich als Ausgangsmaterial, nicht als Thema selbst. Sein Bildmaterial findet Steffen Mühle in Archiven, zumeist von Amateurfotografen. „Ich hole sie aus der Vergessenheit und mache sie zu Kunstwerken, in dem ich sie in einen neuen Kontext stelle.“ Fotografiebenutzer nennt er sich selbst. „Bevor ich ins Archiv gehe, bin ich immer total aufgeregt. Das ist, als würde ich einen dunklen Raum betreten und das Licht wird plötzlich angeknipst. Du weißt nicht, was dich erwartet.“
In Luckenwalde war das Licht besonders hell. „Der Chef vom Heimatmuseum verwaltet 160 000 Fotos und erzählte mir ganz viele Geschichten dazu, wie aus einem Märchen.“ Und so entstand Mühles „Traumfabrik“, seine erste thematische Ausstellung. Auch der legendäre, gestreifte Pullover vom berühmten Sohn der Stadt, Rudi Dutschke, durfte darin nicht fehlen. In dem Stahnsdorfer Verein „Stricken für Afrika“ ließ der Fotokünstler diesen Pullover im Raglanstil nachstricken und hielt das Werkeln mit den Nadeln auf Video fest. Nun gibt es Dutschkes Pullover in mehreren Varianten: die Ikone ist geklont und damit vom Sockel gehoben. „Denn bei Ikonen werde ich immer hellhörig.“ Sein titelgebendes Foto „Traumfabrik“ hängt jetzt bei der Bürgermeisterin: nicht nur aus Stoff mit sanften Träumen.
Ein paar Bildmotive aus Luckenwalde warten noch darauf, dass sie in Mühles Computerwelt fein- und hintersinnig „zermalen“ werden. Dazu könnte das Stipendium Raum gewähren. Auch das Fotogedächtnis von Potsdam würde er gern aus der Versenkung holen. Vielleicht mit einem nächsten Stipendium. „So lange ich denke, lassen sich Bilder nicht vermeiden. Das hat etwas mit Sucht zu tun. Wenn mir eine Arbeit gelingt, ist das ein unglaubliches Gefühl von Befriedigung, und das will man natürlich immer wieder haben.“
Auch vor seiner Tochter kann er offensichtlich künstlerisch bestehen, schließlich hängte sie sich in ihr Zimmer auch Bilder von ihm, wie Steffen Mühle im Café durchaus stolz erzählt. Doch nun drängt er zur Eile. Schließlich hat er noch einen Einkaufszettel der Tochter in der Tasche und die kommt gleich aus der Schule.
„Manchmal braucht man auch Glück, wenn man großes Pech hatte“, sagt der Künstler, schiebt seine viel zu große Wollmütze tief ins Gesicht und macht sich beschwingt auf den Weg.
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