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Reisechronik. Christian Heinze mit einer tadschikischen Großfamilie

© Christian Heinze

Kultur: Tulpenrote Völkerfreundschaft

Vor 40 Jahren war Christian Heinze zum Künstleraustausch in Tadschikistan – jetzt erinnert er daran

Stand:

Manches würde man sich heute wohl nicht mehr an die Wand hängen. Höchstens ins Kuriositätenkabinett. Zum Beispiel das Paar auf dem Motorrad. Er im Anzug, das weiße Hemd darunter leger, ein paar Knöpfe geöffnet. Aber mit Helm. Die Frau im – landestypisch – roten Kleid, das weiße Kopftuch weht. Hinter ihnen die tadschikische Berglandschaft und Menschenwerk: der sich langsam füllende Stausee Nurek. Sozialistischer Kitsch? „Ich frage mich heute auch, warum ich das gemalt habe“, sagt Christian Heinze. „Aber es passte eben damals in die Zeit.“

Damals, das war Mitte der 1970er, als der Potsdamer Maler und Grafiker Heinze zweimal mehrere Wochen zum Künstleraustausch nach Tadschikistan fahren durfte. In die sowjetische Teilrepublik, die im Süden an Afghanistan grenzt. Ein Land so fremd, so anders schön, dass Heinze es mit allen Sinnen aufsog. Und mit vollen Bildermappen wiederkam. Viele der Bilder hat er anschließend in der DDR ausgestellt und verkauft. Sehr viele aber liegen noch in seinem Atelier. Dort wollte Heinze, jetzt 74 Jahre alt, kürzlich etwas Ordnung reinbringen. Auch um das, was ihm wichtig ist, noch einmal zu zeigen. Das tut er jetzt mit den Tadschikistan-Bildern. Von denen die meisten natürlich kein sozialistischer Kitsch sind. Sondern ganz klar Christian Heinzes Handschrift tragen und diese ganz besondere Geschichte, die Begegnung mit dem Land, sei sie auch noch so arrangiert zustandegekommen, erzählen. Bis Ende August sind die etwa 30 Bilder im Galeriecafé Matschke zu sehen.

Die Bilder sind hier am richtigen Platz, denn alles beginnt mit Rainer Matschke, Gründer des Cafés. Der arbeitete damals als Requisiteur bei der Defa und bestellte eines Tages bei seinem Maler-Kumpel Christian eine Handvoll großer Kakteen – als Kulisse für einen Indianerfilm, der in Usbekistan gedreht werden sollte. Heinze durfte schließlich sogar mit an den Drehort fahren und war begeistert von der Landschaft, musste natürlich gleich malen und zeigte die Bilder in einer Ausstellung. „Und dann kam der Vorschlag, mich nach Tadschikistan zu schicken.“

Heinze kommt heute wieder ins Schwärmen – von dem Land, durch das Alexander der Große ritt, in dem Weltgeschichte stattfand. In dem es Berge gibt, so hoch, so anders, wie sie die DDR-Bürger noch nie gesehen haben. Aber Heinze vermisste nach wenigen Wochen – typisch deutsch – das Roggenbrot. Und das viele Herumfahren verlangt einem eben auch etwas ab, ebenso die praktizierte Völkerfreundschaft. Immer wieder muss er mit Künstlerkollegen bei Gelagen auf die Völkerfreundschaft anstoßen. „100 Gramm bei 40 Grad, das ist anstrengend“, sagt er. Aber er merkt bald: Die Tadschiken reichen die Gläser weiter, die Russen trinken. So geht es.

Die Reisegruppe bekommt nicht nur Vorzeigebürger gezeigt, sondern erlebt ein halbwegs authentisches Land. „Wir haben die Sowjetschablone durchbrochen“, sagt Heinze. Gerade auf dem Land ist alles etwas anders als erwartet. „Da verschwanden die alten Bauern zum muslimischen Gebet hinters Haus. Und die Frauen durften erst, wenn der Hausherr sie rief, dazukommen.“

Der Einfluss des Islam findet sich auch im künstlerischen Bereich. Es gibt eine reiche Ornamentik, realistische Abbildungen sind jedoch verboten. Und dann kommen die Deutschen und malen Porträts. „Die Mädchen kicherten erst, aber dann durften wir sie malen und schenkten ihnen anschließend die Bilder“, erinnert er sich. Ein wenig sozialistischer Realismus musste auch sein. Heinze malt Bergsteiger, eine Truppe junger Männer, deren Aufgabe es ist, die Gebirgsstraßen von Geröll freizuhalten. Malt sie in fast übertriebener naiver Deutlichkeit und mit etwas Humor. „So selbstbewusst, wie die schauten, wussten sie ganz genau, wie wichtig sie waren.“

Trotz der vereinzelten glatten Realismen: Die Bilder von damals sind immer noch schön. Heinze malt damals einfach, was ihn beeindruckt. Was er mitnehmen will. Die Architektur der Dörfer, der Bauernhäuser und Moscheen. Malt die Bauern mit Turban, Männer auf dem Feld, malt sich selber in landestypischer Tracht, mit langen Haaren und Mütze im Gras sitzend, zeichnend. Er malt Frauen, mit oder ohne Kopftuch, junge Frauen, Mütter mit Kindern, alte Menschen, stille Porträts. Er malt das Neue, das Andere, dieses Land, so dicht an der Sonne, so satt, dass Heinze noch heute meint, sich an die Gerüche zu erinnern. Er malt die pralle Farbigkeit des Landes, die Felder voller wilder Tulpen, durch die zu laufen er sich nicht traute. Und deren Rot er in die Kleider der Frauen packt – wie das rote Kleid, dass er seiner Frau mitbringt, das sie aber nie tragen wird – und packte es auf die steile Bergwand, auf der weiße Schafe klettern. „Der rote Felsen“, Öl auf Holz, leuchtet weithin.

Aber ebenso ist Heinze damals schon der feinsinnige Zeichner, der einen Fisch so malen kann, dass er ein Fisch bleibt und doch einmalig schön ist. Er kann Wasser zeichnen, das Wasser der Talsperre, dem Mammutbau, auf den das Land stolz ist. Wunderschön – auch wenn Heinze es heute reduzierter malen würde, sagt er – ist das Porträt ihres Fahrers, der mit schmalen Augen müde herüberblickt.

„Wir haben das Land so genommen, wie es uns begegnet ist“, sagt Heinze. Bestimmt gab es Politisch-Problematisches, Dinge, die sie nicht gesehen haben. „Aber das haben wir nicht hinterfragt. Wir waren damals einfach Gäste des Landes.“

Bis 26. 8. in Matschkes Galeriecafé, Alleestr. 10, geöffnet Dienstag 16-22 Uhr, Mittwoch bis Samstag 12-22 Uhr, Sonntag 12-20 Uhr.

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