Kultur: Überzeugender Bericht Und malt und malt und malt
Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion in der Erlöserkirche Der Potsdamer Maler Stephan Velten feierte gestern seinen 50. Geburtstag
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Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion in der Erlöserkirche Der Potsdamer Maler Stephan Velten feierte gestern seinen 50. Geburtstag Dass Mel Gibsons gewaltverherrlichender Film „Die Passion Christi“ einen dunklen Schatten auf die christliche Lehre wirft, hat als Erster der Kritiker Jens Jessen in der „Zeit“ konstatiert. Indem dieser Film die pure Brutalität und Gewalt der Kreuzigung Jesu ins Zentrum seiner Darstellung rückt, verhöhnt und vernichtet er die christlichen Botschaften des Alten und des Neuen Testaments. In diesem Film wird keine Erlösung, keine Gnade und keine Liebe gepredigt, sondern Hass, wie Jessen schrieb. Ein Nebeneffekt des „unglaublichen“ Films besteht darin, dass er die alten kirchenmusikalischen Passionen aufs Neue ins Licht rückt. Die Repräsentation der lutherisch-christlichen Glaubenswelt mit allen Facetten zwischen irdischer Anbetung, dramatischer Erzählung und himmlischer Verklärung gelang wohl kaum so vollendet wie in den Werken von Johann Sebastian Bach. Auch seine „Johannes-Passion“, die auf dem rauen, nüchternen Kreuzigungs-Bericht des Johannes-Evangeliums basiert, legt noch ein ergreifendes und überzeugendes Zeugnis von christlicher Botschaft und Frömmigkeit ab. Die „Johannes-Passion“ erlebte eine hervorragende Aufführung in der Erlöserkirche unter dem Dirigat von Ud Joffe. Der Neue Kammerchor, das Neue Kammerorchester Potsdam sowie die großartigen Solisten erfüllten das Werk mit mitreißendem Leben. Die Passionsvertonung enthält mehr Schmerzensmusik als mitfühlende Klänge, mehr dramatische Rhetorik als Empathie. Eingerahmt von zwei monumentalen Chören erzählt sie die Leidensgeschichte auf affekt- und effektvolle Weise. Im Zentrum stehen heftig-bewegte Turbae-Chöre. Der Neue Kammerchor Potsdam zeigte sich auf der Höhe seines Könnens, wohl noch nie hat man ihn mit solch präziser und ausdrucksstarker Artikulation und klarer Intonation gehört. Mächtig und volltönend erklang der Eingangschor. Inbrünstig wogten die Stimmwellen in den Chorälen, wie etwa in „Oh große Lieb, o Lieb ohn alle Maße“, „Christus, der uns selig macht“. Insbesondere die aufrüttelnden Turbae-Chöre waren noch in kleinste Details durchgearbeitet, bis in feinste artikulatorische und dynamische Verästelungen gesteigert. Mit dieser großartigen Leistung hat der Chor seine herausragende Position erneut behauptet. Wie sehr Besinnung, rhetorische Erklärung und Besprechung aber auch Gehorsam und Anbetung Elemente dieser Glaubenswelt sind, zeigte sich bei den vielen Chorälen, die alte Kirchenlieder aufnehmen und so eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Gläubigen und dem biblischen Geschehen herstellen - anders als die Kino-Überwältigungsmaschinerie. Das Neue Kammerorchester spielte grundsolide, setzte präzise Akzente, etwa als grelle Blitze in „Wir haben ein Gesetz“ und begleitete Chor und Solisten souverän. Den Evangelisten gab Johannes Kalpers, Tenor, und erwies sich trotz starker Erkältung als kerniger Rezitator und wohlklingender Sänger. Mit perfekter Diktion und würdigem Stimmklang trat Jörg Gottschick, Bariton, als Jesus auf. In unterschiedlichen Rollen erschien Kai-Uwe Fahnert, Bass, großartig im Wechselgesang mit dem Chor „Eilt ihr angefochtenen Seelen“. Die Sopranistin Doerthe Maria Sandmann brillierte in zwei lieblichen, opernhaft ziselierten Arien mit ihrer fein-beweglichen Stimme. Zu einem besonderen solistischen Höhepunkt geriet die Alt-Arie „Es ist vollbracht“, die Carolin Masur vollendet vortrug. Begleitet von Gambe und Chitarrone war Carolin Masurs klangvoller Gesang ein musikalisch-geistiger Ausnahmegenuss. Wer etwas vom Christentum und seinen Werten erfahren möchte, sollte nicht in Gibsóns Film, sondern in eines der geistlichen Werke von Johann Sebastian Bach gehen. Babette Kaiserkern Von Götz J. Pfeiffer „Auf Malerei bin ich fixiert wie Gänse auf Konrad Lorenz.“ Sollte der Maler Spielball eines soziologischen Experiments geworden sein? Man könnte Stephan Velten, der gestern seinen 50. Geburtstag feiert, die skurril-hintergründige Erklärungen seines Malerdaseins fast glauben. Doch da ist dieses jungenhafte Blinzeln in seinen Augen. Und spielt nicht ein schelmisches Lächeln um seinen Mund? Eines ist Velten mit den Gänsen gewiss gemeinsam: die Vernarrtheit. Bei ihm ist es die leidenschaftliche Suche nach dem Geheimnis in der Malerei. Mit 13 Jahren entstanden die ersten Bilder des 1954 in Potsdam Geborenen. Mit etlichen Bildern bewarb sich der Zwanzigjährige an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, wo er unter anderen bei Werner Stötzer studierte. Er kehrte 1979 mit dem Diplom als Maler und Grafiker nach Potsdam zurück, um fortan freiberuflich tätig zu werden. Dass er in seinen ersten Jahren zu den Wilden gehörte, in einer Ausstellung Türen aushängte und sie in der Raummitte stapelte oder Wahlplakaten mit Kohle überzeichnete, kann man sich bei seinem Schalk gut vorstellen. Seiner Gemütlichkeit ist immer eine Prise Provokation beigemischt. Im Atelier steht ein Bild der frühen Jahre. Das „Rosa Café“ von 1984 hätte er beinahe nicht ausstellen dürfen. Wohl als zu dekadent empfunden, mutmaßt der Maler und blickt auf die heiter wirkende Frühlingsszene in zarten, hellen Farben. „Damals war mir das Bild so wichtig, dass ich den Preis hoch angesetzt habe. So etwas kann ich nie wieder machen, habe ich gedacht.“ Heute denkt er darüber anders, sieht den Maler auch als Unternehmer. Aber verkaufen um jeden künstlerischen Preis? Sich dem Publikum andienen, um gekauft zu werden? Nicht mit Velten. Dann wäre die Malerei nicht mehr seine Malerei. Denn störend und anstößig im Wortsinn sind seine Arbeiten immer noch. Und wie er dann in seinem wuchtigen Sessel sitzt, vom schwarzen Leder umfangen, die Hände vor dem Körper verschränkt und den Blick der wachen Augen konzentriert an die Decke gerichtet, klingen seine Antworten, als habe er lange und immer wieder nachgedacht. „Das Meiste in der Kunst ist heute Dekor, Dekoration für andere Leute. Ein künstlerischer Prozess ist etwas anderes und birgt seine Konflikte in sich. Kunst ist Bewältigung des Lebens.“ Leute seien zu ihm gekommen, hätten sich bewundernd über Arbeiten geäußert, um dann zu fragen, ob er nicht ein Bild in helleren Farben habe. Hatte er nicht und dieser Verkauf kam nicht zustande. Aber Velten sagt es ohne Bedauern und in der Gewissheit, seine Sammler gefunden zu haben. Auch wenn er in Zeichnungen, Collagen und Keramik arbeitet, ist Velten immer Maler, in seinen Worten: „Man kommt von sich nicht weg“. Derart bewegt sich sein Arbeiten kontinuierlich voran. Glaubwürdigkeit sollen seine Arbeiten sein, in der Farbe, in der Form, in der Auseinandersetzung mit Motiv und mit Thema. Malen sei wie das Erschaffen einer neuen Welt, die eigenen Gesetzen gehorche. Und die sollen überzeugen, zuerst den Maler selbst, der eigenen ältere Arbeiten als gleichsam historische Zeugnisse sieht, zu ihnen aber auch zurückkehrt. Bei ihm geschehe das Hinterfragen im Rhythmus von zehn bis zwölf Jahren. Gerade finde ein neuer Anlauf statt. Sieht er Potsdam als Kulturhauptstadt? Velten antwortet in typischer Weise, die an der Frage hebelt, neugierig macht und nach einem Exkurs zur Antwort gelangt. „Warum soll mich die Bewerbung interessieren?“ Weil er in der Stadt lebe, könnte die Gegenfrage lauten. Velten erinnert nicht daran, dass er acht Jahre im VBK und vier Jahre im BVBK Mitglied war, dass er den Potsdamer Künstlerverein 1990 mitbegründete. Sein Schmunzeln und wie er sich im Sessel energisch aufsetzt, machen deutlich, dass seine Erfahrungen dieser Jahre ihn zu einer gewissen Interesselosigkeit geführt haben: „Lebt eine Stadt Kultur nicht, dann ist eine Bewerbung albern.“ Wenn er in den Jahren etwas gelernt habe, dann jede Nicht-Chance fahren zu lassen und sich auf sein Arbeiten zu konzentrieren. Je älter er werde, desto mehr Ideen habe er. Man spürt, dass er noch viel zu malen hat. Arbeiten von Stephan Velten sind bis 9. Mai in der Galerie Sperl, Mittelstraße 30, zu sehen.
Babette Kaiserkern
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