Kultur: Überzeugender Etikettenschwindel
Mark Benecke und Rainer Gabriel mit „Staatenbildend“ im Schloss Sacrow
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Es war eine Mogelpackung. Von wegen Theater! Daran änderten auch Max Schumachers diffuse Ausführungen auf die Frage eines Besuchers hin nichts, der am Ende von „Staatenbildend“ wissen wollte, was denn nun mit dem versprochenen Theaterstück sei. Schumacher, Kurator bei der XIV. Rohkunstbauausstellung „Drei Farben – Weiss“ im Schloss Sacrow, sinnierte kurz darüber, was denn Theater überhaupt sei und wann Fiktion beginne. Ob es für das Etikett „Theater“ nicht reiche, wenn nur im Programmheft eine Geschichte erzählt werde? Ein Großteil der Gäste hatte dafür kein Ohr mehr, sondern scharrte sich begeistert um den Star des Abends: Mark Benecke alias Murat Belcant.
Zu einem Insekten-Theater-Stück von „Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke“ hatten die Organisatoren der derzeitigen Ausstellung von Rohkunstbau in das Schloss nach Sacrow geladen. In „Staatenbildend“, einer „Welturaufführung“, sollte ein „unterhaltsamer, etwas kauziger Wissenschaftler“, gespielt von Murat Belcant, über seine Beziehungen zu staatenbildenden Insekten wie Bienen und Ameisen sprechen. So viel zur Geschichte im Programmheft.
Wegen der Regenfälle war „Staatenbildend“ vom Park in den Saal des Schlosses verlegt worden. Die versprochenen Bienen als Hauptdarsteller mussten draußen bleiben. Rainer Gabriel, Vorsitzender des Vereins Brandenburgischer Imker und einer der „Darsteller“ im besagten Theaterstück, hatte zumindest ein paar Filmausschnitte von Bienen mitgebracht. Einziges sichtbares Insekt auf der Bühne blieb so eine fingergroße Fauch-Schabe, die Benecke liebevoll „Peterle“ nannte. Ein genügsames Wesen, das, wenn es nicht gerade auf Beneckes Daumen saß, den Abend in dessen Hemdtasche verbrachte. Ansonsten eine Schaufensterpuppe in Imkeruniform, zwei Bienenstöcke, Tisch und Stühle und eine kleine Leinwand auf der improvisierten Bühne. Und die „Handlung“ des Stückes? Nennen wir es kulant Wissenschaftstheater. Denn was Benecke und Gabriel auf die Bühne brachten, waren, ganz nüchtern betrachtet, wissenschaftliche Vorträge mit hohem Informations- und Unterhaltungswert.
Allein Mark Beneckes oder Murat Belcants Auftritt – von der strikten Trennung, die noch im Programmheft stattfand, war auf der Bühne nicht das Geringste zu merken – war die Fahrt nach Sacrow wert. Was Schnellsprecher Benecke, bekannt aus Fernsehen und Rundfunk, in 30 Minuten erzählen kann, schaffen andere nicht einmal in einer Stunde.
Laut Benecke ist der erste Schritt zur Staatenbildung bei Insekten der Größenwahn von Aaskäfern gegenüber einer Kotkugel, die, dreifach so groß ist wie sie selbst, als Wohnort des eigenen Nachwuchses auserwählt und entsprechend transportiert werden soll. Während diese Form von Insekten Brutstätten zufällig wählt, die vom Nachwuchs dann aufgefressen werden – manche der Insekten nisten mit Vorliebe in Kadavern toter Tiere – , gibt es andere wie Ameisen und Bienen, die planvoller und mittels eines komplexen Kommunikationssystem „staatenbildend“ zu Werke gehen. Was hier in Form von Ameisenbau oder Bienenstock entsteht, ist dann mehr als nur Nahrungsquelle für den Nachwuchs, sondern „Unterschlupf“ für das gesamte Insektenvolk.
Imker Rainer Gabriel nutzte seinen „Auftritt“ weniger für Ausführungen über die Staatenbildung bei den Bienen, sondern um auf die Probleme der heimischen Imkerschaft aufmerksam zu machen. Immer weniger Imker betreuen in Brandenburg immer weniger Bienenvölker, die dabei für das ökologische Gleichgewicht von so immenser Bedeutung sind. Zahlreiche Gründe nannte Gabriel, von denen Unwissenheit und Eigeninteresse die wohl gravierendsten sind. Denn viele Imker müssen sich mit Klagen ihrer Nachbarn auseinandersetzen, die sich durch die Bienen in ihrem Garten belästigt fühlen.
Am Ende gab es viel Applaus für diese Vorträge. Unbeantwortet blieb aber die Frage, warum eine solche überzeugende und ausverkaufte Veranstaltung den Etikettenschwindel „Theater“ nötig hatte.
Dirk Becker
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