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Kultur: Unendliche Geschichten

Michael Endes „Magische Welten“ in einer Familienausstellung im Filmmuseum

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Beharrlich folgt sie dem Weg, den sie einmal eingeschlagen hat. Auch wenn es seine Zeit braucht: Tranquilla Trampeltreu, die Schildkröte, erreicht ihr Ziel. So wie auch ihr Schöpfer Michael Ende, der über viele Stolpersteine ging, um schließlich, nach mühsamem Auf und Ab, seine magische Welt zu erschaffen, die bis heute die Herzen entflammt.

„Das Land, in dem Lukas, der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein“, hieß der erste Satz, der aus dem erfolglosen Theaterdichter fast über Nacht einen gefeierten Erzähler werden ließ. Und dieser Satz, dem ohne die Idee einer konkreten Geschichte noch viele folgen, leuchtet auf blauem Untergrund als erstes auch dem Besucher der Ausstellung „Magische Welten“ im Filmmuseum entgegen. Darunter frohlockt eine alte Schreibmaschine: „Schreib Deine eigene Geschichte ...“

Die in Potsdam gezeigte Ausstellung ist eine modifizierte, auch auf Kinder zugehende Version der vom Deutschen Theatermuseum München konzipierten Schau. Während in Sichthöhe der Erwachsenen über das Leben und Schaffen Michael Endes sehr lebendig erzählt wird, zieht sich darunter ein blaues Band entlang, das die Kinder zum Lesen animiert. Museumsmitarbeiterin Ugla Gräf wählte Anfänge aus den bekannten Büchern „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, „Der Wunschpunsch“, „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“ heraus, die Lust zum Weiterlesen provozierend. Doch zuallererst fesseln die faszinierenden und vielgestaltigen Puppen, die aus den verschiedensten Theatern als Leihgabe die Ausstellung so sinnlich und heimelig wie in einem Kinderzimmer werden lassen.

Und sie zeigen auch, mit welch“ überbordender Phantasie Michael Endes literarische Figuren sich zu zauberhaften Bühnenhelden formten. Da liegt der meterlange flauschige Fuchur mit den großen treuen Kulleraugen aus dem Theater Hagen. Und er kann dabei auf einen ganz anders gearteten Fuchur blicken: so wie ihn das Nationaltheater Weimar sah. Es ließ in seiner Opernfassung den literarischen Glücksdrachen aus der „Unendlichen Geschichte“ zu einem vielgliedrigen „Segelflieger“ in zarter Transparenz in die Lüfte steigen.

Die Verfilmung der „Unendlichen Geschichte“ wurde für den Autor indes zum Alptraum. Aus der Geschichte über die Macht der Phantasie war eine Actionstory nach Hollywood-Manier geworden. Michael Ende fühlte sich verraten und zog gegen Bernd Eichingers Neue Constantin vor Gericht. Sein Wunsch, Sinnerlebnisse und einen neuen poetischen Mythos zu schaffen, ging im Film in dem Drang nach Äußerlichkeit unter. Die Stimme der Stille, die die Botschaft verkündete: „Nur ein Mensch kann Phantasien retten“, versank im Lärm.

Auch mit der „Momo-Verfilmung war der Autor nicht ganz einverstanden, wie in der Ausstellung und in dem Begleitkatalog nachzulesen ist. Doch sie entsprach noch am ehesten seinen Vorstellungen. Denn Regisseur Johannes Schaaf verzichtete auf übertriebene Effekte, setzte statt dessen auf die Qualität der Schauspieler wie Mario Adorf, John Huston und Armin Mueller-Stahl. So sieht man sich auch sehr schnell fest, wenn am Ende der viergeteilten Schau „Momo“ in einem kleinen „Kino“ über die Leinwand läuft. Flankiert von grauen Herren aus Pappmaché, die um die Bühne herum drapiert auf der Lauer sind. Sechs Jahre arbeitete Michael Ende an dieser Geschichte, zu der ihn eine Taschenuhr ohne Zeiger anstiftete. Lange tüftelte er an einer Lösung: „Wenn die Zeitdiebe allen Menschen die Zeit stehlen können, warum dann Momo nicht?“, fragte er sich. Bis ihm in seiner Beharrlichkeit die Eingebung kam: „Jemandem, der seine Zeit nicht festzuhalten versucht, kann man sie auch nicht stehlen.“ Diese Geschichte war damit vollendet.

Schon seit seiner Kindheit setzte sich Michael Ende mit visionären Traumwelten und imaginären Räumen auseinander, angeregt durch die Bilderwelt seines malenden Vaters Edgar. Als dieser die Familie verließ, stürzte das den Sohn in eine Krise. Doch seine Leidenschaft fürs Theater half ihm über vieles hinweg, obwohl diese Liebe selbst ein „Drama“ war. Michael Ende ließ sich nicht beirren, suchte nach immer neuer Inspiration, wie er sie schließlich im epischen Theater Brechts und in dem japanischen No-Theater fand, die ihn auf seinem Weg begleiteten.

Der 1995 verstorbene Meister des poetisch-philosophischen Fabulierens glaubte an das Theater als magischen Ort, den man nie so verlässt, wie man ihn betreten hat. Man muss sich nur Zeit nehmen.

So wie Michael Ende an seiner Schreibmaschine. Absichtslos ließ er sich von einem Satz in den anderen fallen und entdeckte so das Schreiben als Abenteuer. Aus der kleinen Welt, in der Lukas, der Lokomotivführer wohnt, entwickelt sich so eine riesengroße, weithin schillernde. Eine magische Welt.

Die Ausstellung läuft bis 5. Oktober. Begleitend gibt es museumspädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche von 6 bis 14 Jahre, die bis Mitte April ausgebucht sind. Anmeldungen unter Tel. 27 18 112.

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