Kultur: Ungeheure Sehnsucht nach Fröschen
Der schwarzweiße Birkenzauberwald „in einem nordischen Land“ lumineszierte im Bühnenlicht. Große und kleine Kinder, junge und ausgewachsene Erwachsene füllten das T-Werk bis zum Limit, denn ein Stück mit dem höchst kulinarischen Titel „Schneckenschleim und Schweinebraten“ musste ja auch Leute anziehen.
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Der schwarzweiße Birkenzauberwald „in einem nordischen Land“ lumineszierte im Bühnenlicht. Große und kleine Kinder, junge und ausgewachsene Erwachsene füllten das T-Werk bis zum Limit, denn ein Stück mit dem höchst kulinarischen Titel „Schneckenschleim und Schweinebraten“ musste ja auch Leute anziehen. Literaten aus Irland, England und Schweden hatten die sehr agile Kindertheatertruppe um Ulrike Schlue vom Offenen Kunstverein auf die Idee gebracht, sich eine „Geschichte von Trollen und Menschen“ auszudenken, worin es um Kindstausch geht, und wo auch Selma Lagerlöf zu Wort kommt, sie wusste noch, wie man dem argen Treiben der Trolle begegnet.
Der Name „Volles Boot“ für dieses junge Ensemble ist, nebenbei, ganz rechtens gewählt. Mit Abstand und Humor erfahren die Zuschauer aus dem Off von einer glücklichen Familie hoch im Norden, die zwar eine Tochter (Anna-Rosa Große) hat, sich aber weiteren Nachwuchs wünscht. Der kommt auch in Gestalt der kleinen Lina Thyrolf. Wie bei Shakespeares „Sommernachtstraum“ gibt es auf der Gegenseite die Welt der Trolle, mit ihrem Häuptling Janosch Ansorge an der Spitze. Trollmutter Lea Haßkerl hat zwar mit Jan Zschau einen eigenen Sohn, aber angesichts dieses niedlichen „Menschenkindes“ erscheint er ihr hässlich. Sie will Lina an seiner Statt haben, und er plärrt. Durch den Tausch der Kinder – der ungeratene Kindertroll gerät unbemerkt an die noch immer glücklichen Eltern – wird diese in Teilen poetische Geschichte in Gang gesetzt. Nur die große Schwester bemerkt den Schwindel, ihr aber hext das Trollkind den Mund zu, während er das Ehepaar (Nathalie Fribourg, Dario Sendoya) nur noch (und tatsächlich) spanisch parlieren lässt. Irrte sogar „der weise Mann“ (Bartholomäus Baumberg) im Ratgeben, so gelingt es doch zuletzt, die Ordnung des Anfangs zu restaurieren. Wie? Die Trollmama verzweifelt an ihrem Fang, sie kann nicht einmal dessen Hunger nach Schweinefleisch stillen, während es dem Trollkind im Menschenreich ähnlich ergeht: Sein Magen hat ungeheure Sehnsucht nach Fröschen und Schneckenschleim. Einige hübsche Irrläufe der stummgeschalteten Lina-Schwester und ihrer wenig geformten Logopädin durchs Lumineszierende, dann bricht die Handlung plötzlich ab.
Hätte es diese flotte Inszenierung auf eine Stunde gebracht, wäre vielleicht noch zu erfahren gewesen, was aus dem Rücken an Rücken gebundenen, Elternpaar wurde und ob die große Schwester wirklich ihre Sprache wiederfand. Wie immer auch, dieses Stück bietet eine interessante Variante zum Thema „Wechselbalg“ und „ungeliebtes Kind“, gar nicht so fern und märchenhaft, wie es auf den ersten Blick scheint.
Ulrike Schlue und Nikki Bernstein haben wieder mal wieder ein gutes Händchen fürs Kinderthater bewiesen. Man bemühte sich, jedem der leicht boshaften Geister, die so gerne Menschen ärgern und fressen, in Sprache und Gestus ein eigenes Profil zu geben, mehr als der menschlichen Seite übrigens. Die Kostüme taten ein Übriges. Sichtbare Spielfreude in lebhaft erdachten Situationen und die tollsten Einfälle gaben der phantasievollen Inszenierung eine luftige Note. Überraschend griff dann sogar der Dichter (David Vagt) des Geschehens persönlich ein, um alles zu einem guten Ende zu bringen. Es wurde in dieser Eigenproduktion zwar mehr behauptet als gezeigt, aber man weiß ja: Alle Märchen gehen gut aus, sogar die erdachten vom Offenen Kunstverein. Gerold Paul
Gerold Paul
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