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Kultur: Unheimliche Schönheit

Ab Sonntag ist im KunstRaum eine Ausstellung von Squaw Hildegard Rose zu sehen

Der Blick aus dem Atelierfenster auf den Jungfernsee verführt zum Meditieren. Doch die Gedanken sind zu aufgewühlt, um sich von der Harmonie der Natur mitreißen zu lassen. Sie verharren im Seelendickicht der Bilder von Squaw Hildegard Rose. Dort gibt es nichts Sanftes, Glattes, Verklärendes. In der Vielschichtigkeit der Räume, Farben und Linien brodelt es vor Spannung: nicht vordergründig laut, eher in feinen Schwingungen. So wie auch die Malerin etwas Leises und doch Nachdrückliches hat.

Sie geht den Problemen nicht aus dem Weg, fühlt sich vielmehr von ihnen herausgefordert. Als die Mauer fiel, war das für die damalige Westberlinerin ein einschneidendes Erlebnis: „Ich musste nicht mehr drei Stunden mit dem Auto unterwegs sein, um die Weite der Landschaft zu suchen.“ Schnell stand für sie fest, dass sie alsbald nach Potsdam ziehen würde. Doch schon zuvor unternahm sie Ausflüge ins Umland und stieß dabei auf leergezogene Kasernen und ehemalige Schießplätze der abgezogenen Russen. „Diese verlassenen Räume hatten etwas Wahnsinniges. Ich fand Pappkameraden mit Hunderten von Kalaschnikow-Einschüssen. An den Füßen hatten sie Stromkabel, so dass sie ferngesteuert aufgerichtet werden konnten, um von den Soldaten wieder niedergemacht zu werden. Der Mensch wurde trainiert, auf Menschen zu schießen. Das war schon erschütternd zu sehen.“ Genauso wie die von ihr geborgenen großen Demonstrationstafeln, auf denen durch naive handgemalte Bilder und kyrillische Schrift gezeigt wird, wie man einen anderen Menschen im Nahkampf tötet: ihn ersticht oder hinterrücks erwürgt.

Es erinnerte die Malerin an ihre Kindheit, in die sie 1943 während eines Luftangriffs in Kiel hineingeboren wurde. Drei Mal wurde ihre Familie ausgebombt. „Daher kommt sicher meine Schreckhaftigkeit. Ich bin ein super ängstlicher Mensch.“ Und sie erzählt von dem Spiel ihrer Kinderzeit: „Die Russen kommen“, bei dem man sich ganz schnell verstecken musste. „Vielleicht habe ich in dem Thema meine künstlerische Entsprechung gefunden.“ Zumal sich in ihr Bild über die Russen noch ganz andere Züge hinein mischen. „Ich hörte die Soldaten vor ihrem Abzug hinter hohen Mauern singen. Und ich fand einen Platz mit drei Birken und einer kleinen Bank darunter. Plötzlich lösten sich diese Riesenfeinde aus Kindertagen in Menschen auf, was mich zutiefst anrührte.“ Vielleicht war es gerade diese Ambivalenz, die sie so stark in den Bann zog und zu dem Ergebnis führt, das ab Sonntag in ihrer großen Ausstellung im KunstRaum zu sehen ist.

Für Squaw Hildegard Rose beginnt die Arbeit nicht erst an der Staffelei. So wie die vielen Schichten, die sie oft übereinander malt, nach und nach trocknen, reifen auch ihre Gedanken erst allmählich. „Oft brauche ich ein halbes Jahr für ein Bild.“ Und da sie durch ihren Mann, der als Jurist arbeitet, finanziell gut abgesichert ist, hat sie den Luxus, sich diese Zeit auch nehmen zu können. Ihre surreale Malweise hat sich seit ihrem Studium an der Muthesius-Werkkunstschule in Kiel und später an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig nicht grundsätzlich verändert: „Es hat sich nur klarer herauskristallisiert, was ich möchte.“

Aus der Studentenzeit stammt auch ihr Künstlername Squaw, den sie von ihrem Mann verliehen bekam. „Er spielt auf meine Begeisterung für Indianer und meine große Achtung vor der Natur an. Außerdem schien mir Hildegard damals zu germanisch. Erst später konnte ich ihn akzeptieren, denn in ihm steckt ja meine eigene Geschichte mit drin.“

Auch in ihren Bildern spiegelt sich sehr Persönliches wider, auch wenn das angesichts der abstrakten Malweise nur gefühlsmäßig spürbar wird. Nachdem sie 1998 nach einer intensiven Phase ihren Russenzyklus abgeschlossen hatte, wurde sie durch ihre Krankheit einer neuen Herausforderung zugetrieben. „Durch meine chronische Bronchitis musste ich oft zum Röntgen. Trotz des Bedrohlichen sah ich in den Aufnahmen auch etwas Ästhetisches.“ Knochen, Adern, Sehnen haben für sie eine unheimliche Schönheit und Harmonie. Sie sehen wie Wurzeln oder Äste im Gespensterwald aus und wirken zugleich zart und zerbrechlich. „So wie wir eben sind. Das Innere stimmt mit dem Äußeren überein.“

Doch sie beschäftigt sich nicht nur mit dem eigenen Innenleben. Die leidenschaftliche Potsdamerin besorgt sich von ihrem Lungenarzt und auch vom Tierarzt ihrer Katze und ihres Hundes Aufnahmen anderer, für sie namenloser Zwei- und Vierbeiner. Was die meisten abschreckt, weil es verborgene Krankheiten zu Tage fördert, zieht sie an. Und Squaw Hildegard Rose malt eigene, vielschichtige Bilder dazu, die sie hinter die Röntgenaufnahmen legt. Verdecken, verhüllen, verbergen – ahnen lassen. Das ist es, was für sie das Malen so spannend macht. „Alles hat irgendwie mit Ängsten und Bedrohung zu tun. Da hilft es nicht, die Augen zu verschließen.“ Sie will keine betulichen Wohnzimmerbilder malen, und wenn ihr Mann zu ihr sagt: „Jetzt ist es ja wieder so schrecklich geworden“, kann sie nur entgegnen: „Auch schwierige Bilder sind notwendig.“

Gern hätte sie auch ihr Klavierspiel zum Beruf gemacht. „Doch das hat mit sehr viel Disziplin und täglichem Üben zu tun.“ Beim Malen konnte sie den Pinsel aus der Hand legen, wenn einer der beiden Söhne sie brauchte. „Außerdem ist Musik nur für den Moment. Bilder hingegen haben kein Verfallsdatum. Du kannst malen, bis sie vor dir selbst bestehen.“ Aussichten sind ihr dabei immer wichtig, auch die auf den Jungfernsee. „Aber ich habe sie verinnerlicht.“ Die Unsicherheit hinter der Oberfläche bleibt.

Vernissage, 13. Januar, 11 Uhr, im KunstRaum – eine Ausstellung vom Kunstverein Potsdam und vom Waschhaus.

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