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Von Klaus Büstrin: Uralte Fragen aktuell

Isabel Osthues inszeniert am Hans Otto Theater „Parzival“ von Lukas Bärfuss

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Vergessen wir Wagner. Für eine Weile. Vielleicht bis Lukas Bärfuss Stück von Parzival über die Bühne im Hans Otto Theater gegangen ist. Dann kann man sich ja wieder mit aller Wucht in die weltanschauliche Sendung, die der Bayreuther Großmeister mit der mittelalterlichen Gestalt verband, hineinbegeben. Es könnte sein, dass man sie danach mit anderen Augen erlebt. Nach dem Parzifal-Epos des mittelhochdeutschen Dichters Wolfram von Eschenbach schrieb Wagner den Text selbst zu seinem Bühnenweihfestspiel. Auch Tancred Dorst hatte sich in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Geschichte angenommen. Der aus dem Berner Oberland stammende und heute in Zürich lebende Lukas Bärfuss hat die uralte Vorlage ebenfalls benutzt, um mit einer frischen und saloppen Sprache ein heutiges Stück auf die Bühne zu bringen. Als Auftragswerk des Staatstheaters Hannover. Anfang des Jahres wurde es dort uraufgeführt.

Am Freitag wird in der Reithalle des Hans Otto Theaters (HOT) die Bärfuss-Bühnenadaption ihre Potsdamer Premiere haben. Als Regisseurin konnte Isabel Osthues gewonnen werden. In der brandenburgischen Landeshauptstadt hat sie in der vergangenen Spielzeit mit „Die Glasmenagerie“ und „Der Architekt“ bereits erfolgreich ihre Visitenkarte vorgelegt.

Im PNN-Gespräch macht sie sogleich darauf aufmerksam, dass die neun Darsteller der „Parzifal“-Inszenierung noch studieren, gleichaltrig sind, so um die Mitte Zwanzig, und ohne Routine agieren. Das mache ihr besonderen Spaß. Als Koproduktion mit der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen wird „Parzival“ auf dem Spielplan des HOT stehen. Ein Student musste jedoch wenige Tage vor der Premiere wegen Krankheit leider das Handtuch werfen. Nun ist ein Kommilitone eingesprungen, der den mehrwöchigen Probenprozess in kürzester Zeit absolviert.

Junge Leute nehmen sich also dieser Bühnenfassung an. Ob sie sich mit Richard Wagners Oper auskennen? Ihre Regisseurin jedenfalls, nach eigener Auskunft, ist bei dem spätromantischen Komponisten nicht sehr zu Hause. Darin ist sie sich aber sicher: Alles Religiöse und Sakrale, die in Wagners Bühnenweihfestspiel ganz komplex vorhanden sind, hat Bärfuss aus seinem Stück verbannt. Aber er bleibt ganz dicht bei Wolfram von Eschenbach und seiner Ritterwelt. Nur sind es jetzt moderne Ritter. Aber die Beschäftigung mit den großen Mythen unseres Kulturkreises könnte für alle ein Gewinn sein.

Erzählt wird von Herzeloyde, die sich mit ihrem Kind Parzival in eine Einöde zurückzieht. Ihre Erfahrungen mit der gewalttätigen Ritterwelt ließen in ihr den Entschluss reifen, ihren Sohn in der Einsamkeit aufzuziehen, um ihm alle Begegnungen mit Rittern zu ersparen. „Erzählt, was ihr wollt, aber sagt nichts von Abenteuern (), erzählt nichts von Pferden, nichts von fernen Ländern, nichts von Kampf und Mut und Tollkühnheit, nichts von allem, was sein Vater um das Leben brachte. Erzählt ihm nichts vom Rittertum. Er würde weggehen von mir, ich würd‘s nicht überleben“, befiehlt Herzeloyde ihren Getreuen. Damit erreicht sie aber genau das Gegenteil. „Obwohl die Mutter ihm alles Wissen vorenthalten möchte, wird die Neugier in Parzival entbrannt, Er stellt unablässig Fragen“, sagt Regisseurin Isabel Osthues. Die Titelgestalt erscheint bei Bärfuss als tumber Tor, als Tölpel. Ein Narr. So wie bei Wolfram von Eschenbach und Richard Wagner.

Als junger Mann verlässt Parzival jedoch die Mutter. Er irrt durch die Welt. Ritter möchte er werden. Unterwegs trifft er auf unterschiedliche Menschen, liebt, kämpft, tötet, weiß nicht weiter und geht trotzdem immer vorwärts. Aber diese Welt ist erbarmungslos und schwer zu durchschauen. So irrt Parzival von Abenteuer zu Abenteuer. „Sein Weg vom Kind zum Gralskönig scheint mehr als nur einmal zum Scheitern“, erzählt die Regisseurin kurz und knapp die Handlung. Dann gibt es bei „Parzival“ ja noch die Sache mit dem Mitgefühl oder sogar dem Mitleid. Auch bei Lukas Bärfuss. Am Königshof des Anfortas könnte er den schwerkranken König fragen, woran dieser leide. Denn es wäre die Frage, die den König und die Welt erlösen würde. Aber die Frage unterbleibt.

„Denn nur das umfassende Mitleid () sensibilisiert für die Nöte der Menschen und Tiere und lässt so den Menschen zur Weisheit, zum wahren Wissen, vorstoßen“, schreibt der Theologe Hans Küng.

„Die Suche nach Erkenntnis und der Versuch, sich in der Welt zurecht zu finden, stehen im Zentrum des Stückes von Lukas Bärfuss. Dazu gehört das Fragen“, so Isabel Osthues. „Unsere Gesellschaft hat aber das Fragen verlernt.“ Einige hat die Regisseurin selbst parat: „Was passiert mit einer Gesellschaft, die das Fragen abschafft? Darf ich so leben, wie ich leben möchte? Was macht den Kern des Menschseins aus? Wie nehme ich Anteil am Leben und am Leiden anderer Menschen?“ Themen, die Isabel Osthues umtreiben. Sie haben an Aktualität nicht verloren. In „Parzival“ wird es es wohl kaum Antworten geben. Doch die Fragen dürfen trotzdem nicht verstummen.

Premiere am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, in der Reithalle, Schiffbauergasse. Nächste Aufführung am Samstag, 18. Dezember

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