Kultur: Utopia ist überall
Potsdam neu erleben: durch die Ausstellung „Ideal City – Invisible Cities“
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Wer dieser Tage mit offenen Augen durch die Innenstadt läuft, wird auf zahlreiche „Baustellen“ stoßen. Hier wächst eine „Pyramide“ aus Metall heran, dort wird ein Zylinder hochgemauert. Vor dem Filmmuseum entsteht gerade eine trapezförmige Bretterwand. Spätestens heute Abend zur Vernissage gibt es des Rätsels Lösung. Das Zauberwort heißt „Ideal City – Invisible Cities“. Rund 40 internationale Künstler reflektieren bis zum 29. Oktober die Idee der idealen Stadt und ihre Pendants: die unsichtbaren Städte.
Einer der beiden Kuratoren dieser höchst anregenden Unternehmung ist den Potsdamern bestens bekannt. Es ist der ehemalige Galerist der Ticket-Galerie, Markus Richter. Sein Wiedersehen erwies sich allerdings ebenso unerquicklich wie sein Abschied. Weder die Stadt noch das Land gaben auch nur einen einzigen Euro für diese hochkarätig besetzte, virtuose Schau. „Ohne Sponsoren gäbe es diese Ausstellung in Potsdam nicht. Sie wird eröffnet – ohne freundliche Unterstützung. Nicht mal logistisch sprang man den Künstlern bei“, so sein nüchternes Fazit bei der gestrigen Pressekonferenz.
Das habe beim ersten Ausstellungsort ganz anders ausgesehen: Die kleine polnische Stadt Zamosc unterstützte das groß angelegte Projekt mit immerhin 50 000 Euro. Anliegen dieser Ausstellung sei es, Künstler aus zwölf europäischen und sechs nichteuropäischen Ländern mit zwei „Idealstädten“ oder dem, was davon geblieben ist, zu konfrontieren.
Während die Renaissance-Stadt Zamosc bis heute nahezu unverändert erhalten ist, vollzogen sich im barocken Potsdam massive städtebauliche Einschnitte. Die Künstler reagieren mit ihren Werken auf diese unterschiedlichen Gegebenheiten. So auch Collin Ardley. Seine acht Meter hohe Skulptur ist kein Remake der gleichförmigen Pyramide von Zamosc. Für Potsdam löste er sein Werk in zwei asymmetrische, ineinander verschränkte Dreiecke auf. Hier wie dort spiegelt die Installation die Struktur der Stadt. Und vielleicht auch deren Geist. In Polen konnte die Arbeit beleuchtet werden, in Potsdam bleibt sie vielleicht dunkel. Jedenfalls fehlte bis gestern noch das grüne Licht.
Der polnische Künstler Miroslaw Balka widmet sich den Abgründen der „idealen“ Stadt. Seine vor dem Filmmuseum aufgebaute Skulptur „Willkommen“ bezieht sich auf die Küchenbaracke am Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. Dort hatte immer das Lagerorchester zu spielen. Wer an dieser Arbeit am Marstall vorbei geht, wird aus dem Inneren des Holzkörpers den Radetzky-Marsch erklingen hören. Am „Tag von Potsdam“ 1933 spielte man dort ebenfalls auf und begleitete die marschierenden Truppen zur nahe gelegenen Garnisonkirche.
Zwischen Plattenbau und Schinkels Nikolaikirche lässt Lucas Lenglet sein „Columbarium“ entstehen. Den sechs Meter hohen Turm aus Ziegeln leitete er von der Form alter Taubenhäuser ab. Der in Berlin lebende Künstler möchte eine Situation von Bedrohung und Verteidigung schaffen , angelehnt an der Titel, der von Urnengrabanlagen der Armen in altrömischer Zeit herrührt.
Innerhalb des Skulpturen-Parcours durch die erste und zweite barocke Stadterweiterung wird man im Staudenhof auf einen schmutziges Wasser sprudelnden Brunnen auf Waschbetonplatten stoßen. „Hier könnte man allerdings vermuten, er stünde schon immer da“, so die zweite Kuratorin, Sabrina van der Ley.
Die Ausstellung führt auch in Innenräume. Das leerstehende Alte Lazarett in der Schopenhauerstraße, wo bis vor einigen Jahren die Restauratoren der Fachschule studierten, lädt zur Auseinandersetzung mit unsichtbaren Städten ein. Da gibt es Krzsztof Zielinskis Serie Hometown: Fotos von der Tristesse grauer Hinterhöfe, wo nur noch ein Briefkasten oder eine Telefonzelle auf menschliches Leben schließen lassen. Die fast unsichtbare Wandgestaltung von Carlos Garaicoa spielt hingegen mit dem Thema Utopie: Entlang von Hunderten von Stecknadeln spannte er Fäden, die zu einer geheimnisvollen Tempelanlage werden: Leicht und voller Grazie – wie ein zarter Hauch. Auf einem Monitor im Flur sieht man indes einen Soldaten unverdrossen seine Stiefel wienern, als wolle er sich selber reinwaschen. Das ausufernde Raster der Millionenstadt Mexiko , in der der Einzelne völlig verloren geht, beschreibt sehr eindrücklich ein Video von Melanie Smith.
Es gibt viel zu entdecken in diesen temporären Stadt-„Spielen“: auch im Schaufenster der Fachhochschule, in dem leerstehenden Wohnhaus in der Schlossstraße 9 oder im Luisenforum des Brandenburgischen Kunstvereins. Ein spezieller Stadtplan weist erhellend den Weg.
Ausstellungseröffnung heute 18 Uhr im Schaufenster der FH, Friedrich-Ebert-Str. 6.
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