Von Heidi Jäger: Verbeugung vor „Unbekannt“
Ab morgen zeigt das Filmmuseum die Ausstellung „DEFA-Szenenbilder – Jubiläen 2008“
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Die wenigsten kennen ihre Namen, obwohl sie schon viele Stunden mit ihnen gemeinsam im Kino verbrachten. Jetzt rücken sechs von ihnen aus der Anonymität des „Abspanns“ heraus und zeigen Gesicht. Zu ihren runden Geburtstagen schenkt ihnen das Filmmuseum ab morgen im Foyer eine Szenenbild-Jubiläumsschau. Hans Poppe und Georg Wratsch sehen bereits von oben zu: Sie wären in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden und gehören zu den 41 Szenenbildnern der DEFA, die ihren Nachlass noch zu Lebzeiten dem Archiv des Filmmuseums übergaben. Sie bestückten die stattliche Sammlung von 10 000 „Blatt“, die von der kleinen Skizze auf Pergamentpapier bis zum großen Ölbild reicht, kräftig mit. Ihr Lebenswerk brachten auch die 70-jährige Marlene Willmann, der 80-jährige Harry Leupold, der 85-jährige Paul Lehmann sowie Oskar Pietsch, der im Januar seinen 90. Geburtstag feiern durfte, in das filmische „Gedächtnis“ Potsdams ein.
Wie nun aber sechs Künstler mit ganz unterschiedlichen Handschriften unter einen Hut bzw. an eine Wand bekommen? Da hilft nur die Kunst des Weglassens, die Ausstellungsmacherin Ines Belger notgedrungen beherzigen musste.
Sie schaute nicht nach der Bedeutsamkeit der Filme, auch wenn bei Leupold „Die Legende von Paul und Paula“ oder bei Poppe „Der verlorene Engel“ natürlich nicht fehlen durften. Doch es ging ihr vorrangig darum, die Eigenständigkeit der Szenenbild-Kunst ins Rampenlicht zu setzen. Und da beeidruckt Georg Wratsch mit seinen Werken wohl am meisten. Der einstige Schäfer studierte Kunst und verleumdete seine Liebe für den breiten expressiven Pinselstrich auch in seinen Filmarbeiten nicht. Er gab „nur“ Stimmungen vor. Mit dicker Ölfarbe malte er beispielsweise das Interieur eines Wohnzimmers für den Film „Die Flucht“ von Roland Gräf. Man spürt die Enge der Situation, das Diffuse der Gefühle in diesem 1977 gedrehten Film über Fluchthilfe mit tödlichem Ausgang.
„Als Bilderfinder setzen Szenografen das Drehbuch visuell um“, so Ines Belger. Doch beim Wie, da scheiden sich die Geister. Während Wratsch vor allem Fantasie schürende, emotionale Stimmungen vorgab, legte Marlene Willmann Wert auf Akribie. Sie kam aus der Architektur zum Film und so waren ihre Szenenbilder präzise Vorgaben für die Bauabteilung.
Oskar Pietsch liegt irgendwo dazwischen. Mit seinem schwungvoll-frechen Strich erinnert er an das „Magazin“ aus DDR-Zeiten. Pietsch arbeitete nur bis 1961 bei der DEFA. Er wohnte im Westteil der Stadt und blieb dort nach dem Mauerfall wohnen. Dennoch übergab er seinen künstlerischen Schatz mit den frühen DEFA-Arbeiten dem Potsdamer Archiv in der Pappelallee. Darunter sind auch seine Szenenbild-Entwürfe für den Staudte-Film „Mutter Courage und ihre Kinder“, der nie verwirklicht wurde. „Es war eine französische Koproduktion, zu der es Entwürfe von Pietsch ebenso wie von einem französischen Szenenbildner gab. Alles war schon bebildert, da kam das Veto von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Sie wollten kein so opulent angelegtes Kunstwerk. Ihnen schwebte eine schlichte Filmfassung ihres Bühnenwerks vor. Das wurde dann fünf Jahre später realisiert“, sagt Ines Belger.
Realisiert, aber nicht aufgeführt wurde „Das Kleid“. Hierfür schuf Pietsch eine märchenhafte Szenerie, denn Konrad Petzolds Verbotsfilm von 1961 war eine moderne Adaption der Grimmschen Geschichte um des Kaisers neuen Kleider. Der Film spielt in einer Stadt hinter hohen Mauern, in der es angeblich nur zufriedene Menschen gibt. „Doch die Regierung wird bloß gestellt und das Volk lacht über sie: Die Anspielungen auf die Gegenwart waren zu deutlich,“ sagt Ines Belger. So sei der Film erst 1991 auf die Leinwand gekommen.
Da hatte es die „Verwirrung der Liebe“ von Slatan Dudow mit den beiden DEFA-Schönen Annekathrin Bürger und Angelica Domröse etwas leichter. Aber auch über diese 1959 gedrehte Komödie, für die Pietsch mit leichter Hand sinnliche Stimmungsvorlagen zeichnete, diskutierte man in der Hauptverwaltung Film. Prüden, blutleeren Filmen stand nun ein sinnenfrohes Opus entgegen, das auch vor einer Nacktszene nicht zurückschreckte.
Die Ausstellung zeigt die ganz eigene Welt der Szenografie: Sie „spult“ bekannte Filme noch einmal zurück und lässt ganz in Ruhe Räume betreten. Selbst wenn man außer Alfred Hirschmeier kaum einen Szenenbildner kennt, gehören auch die „Namenlosen“ zum festen Dreiergestirn mit Regisseur und Kameramann. Um dieses bildkünstlerische Handwerk dauerhaft ins rechte Licht zu rücken, gibt es derzeit ein Forschungsprojekt, an dem u.a. der Sohn von Harry Leupold, Matthias Leupold, arbeitet und das in einem Buch münden soll. Das Filmmuseum ist dabei wichtiger Partner.
Und das Sammeln geht stetig weiter. Wie Archiv-Chefin Dorett Molitor betont, gibt nun auch Szenenbildnerin Susanne Hopf, die viele Filme mit Andreas Dresen produzierte, darunter „Wolke 9“, ihre Sammlung dem Filmmuseum. Und irgendwann, vielleicht zu einem etwas früheren Jubiläum, wird sicher auch ihr eine Ausstellung eingeräumt: als Verbeugung vor dieser Arbeit in der zweiten Reihe.
Zur morgigen Vernissage um 19. 30 Uhr spricht Prof. Matthias Leupold in Anwesenheit von Marlene Willmann, Harry Leupold, Paul Lehman und einem Sohn von Oskar Pietsch, der aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst kommen kann.
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