zum Hauptinhalt

Kultur: Verglühtes Morgenrot

„Stützpunkt – Komma - Strich“ im „KunstWerk“

Stand:

„Stützpunkt – Komma - Strich“ im „KunstWerk“ Das Haus hat schon bessere Tage gesehen. Der Putz hängt in losen Fetzen an der Fassade, die mit grünem Linoleum überklebte Innentreppe ächzt unter den Schritten. Von den Wänden schauen hingegen Menschen in heldenhaften Posen: Siegesgewiss blicken sie dem Morgenrot entgegen. Es sind Soldaten der Sowjetarmee, wie sie einst auf Häuserwänden ihrer Garnisonsstädte verewigt wurden. Doch nichts dauert eine Ewigkeit, nicht mal die übermächtige Sowjetunion. Als sie 1994 ihre Beschützer-Stellungen in Krampnitz, Jüterbog oder Brandenburg räumte und ihre Panzer und Bataillone wieder in die Heimat zurück verfrachtete, hinterließ sie eine verseuchte Landschaft – aber auch Spuren verborgen gehaltenen Lebens. Diese „Fundstücke" erweckten das Interesse von Ludger Wegener. Dem Ingenieur für Raumplanung fielen bei seiner Bestandsaufnahme von Kasernen und Truppenübungsplätzen Mitte der 90er Jahre Tausende von gemalten Bildern auf, die Innenräume, Fassaden oder Schautafeln schmückten. Das gesamte militärische Leben blätterte sich vor ihm auf. „Die Bilder lösten bei mir eine unheimliche Faszination aus. Mir wurde bewusst, dass in den leerstehenden Kasernen Menschen gelebt hatten in einer abgeschlossenen, mir völlig fremden Welt,“ ist auf einem Ausstellungs-Flyer zu lesen. Der inzwischen in Potsdam wohnende Duisburger „sicherte" seine Entdeckungen, indem er sie auf Fotos bannte. Etwa 20 davon sind derzeit im herunter gekommenen Ausweichquartier vom KunstWerk, in der Schopenhauerstraße 16, zu sehen. Das abgewrackte DDR-Ambiente mit Sprelacarttischen und den mit rotem Kunstleder bezogenen Rohrstühlen katapultiert stilecht in die Zeit der Stationierung zurück. Wie ein Lehrfilm muten die Darstellungen an den Wänden an: Soldaten beim Sport, beim Schultern der Waffe, beim Angriff. In Schwarz-Weiß gemalte Helden auf einer Backsteinmauer, die mit der Kalaschnikow in der Hand alle Hindernisse überwinden – den unsichtbaren Feind todesmutig im Visier. Die Menschen sehen aus wie Schablonen. Grüne Uniformen, rote Sterne, fahle Gesichter mit heroischem Blick. Fast kurios nehmen sich dazwischen die Märchenbilder aus: der dicke Chinese mit seinem gezwirbelten Bart und der frech aufgerichteten Locke auf der Glatze, der Rapunzelturm vor dem schneebedeckten Bergmassiv, die zwei verwegenen, bärtigen Kämpfer in einem Väterchen Frost-Wald. Das ernste, aufgesetzte Pathos der militärischen Siegermacht, die auch optisch alle Geschütze der Wehrkraftstärkung auffuhr, nimmt sich geradezu lächerlich aus angesichts der dazwischen gehängten Trickfilmfiguren – und zeigt zugleich auch die ganz kindlichen Sehnsüchte hinter den dicken Kasernenmauern. Die Ausstellung „Stützpunkt – Komma – Strich" ist eine kleine Randnotiz zu einem großen Thema, über das inzwischen längst Gras gewachsen ist. Man sollte sie dennoch nicht übersehen und den Blick vielleicht auch hinter die heldenhaften Posen richten. Auch wenn das „Morgenrot" inzwischen verglüht ist. Heidi Jäger Die Ausstellung ist bis 24. Juli geöffnet, Mittwoch bis Sonntag 15 bis 19 Uhr, Schopenhauerstraße 16.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })