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Kultur: Vergoldeter Trotz

Für „Die Frau und der Fremde“ bekam Rainer Simon den Goldenen Bären – der einzige in der DDR

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Es war eine Trotz-, gleichzeitig eine Protestreaktion, die dazu führte, dass Rainer Simon bei den Internationalen Filmfestspielen „Berlinale“ in Westberlin 1985 mit seinem Film „Die Frau und der Fremde“ den einzigen Goldenen Bären für die DDR erhielt.

Fünf Jahre zuvor hatte Simon „Jadup und Boel“ gedreht, wo er am Bürgermeister Jadup den Verlust langjähriger, fast schon dogmatischer Ideale thematisiert hatte. „Ein zeitgenössischer DDR-Stoff“, wie Rainer Simon sagt, der Kritik wagte. Doch offensichtliche Kritik war nicht erwünscht und so wurde sein Film von den DDR-Oberen verboten. Rainer Simon hatte die Brisanz des Themas sofort erkannt, als er mit den Dreharbeiten zu „Jadup und Boel“ begann. Zum ersten Mal hatte er als Regisseur ein solches Drehbuch angeboten bekommen und schon beim ersten Lesen wurde ihm bewusst, auf was er sich da einließ. Doch Simon war nie ein Angepasster, er hat immer die Möglichkeiten gesucht, kritisch zu sein. „Wir sagten uns im Team, dass wir uns ganz genau an das Drehbuch halten müssten, dann könne uns niemand etwas vorwerfen.“ Es hatte nicht geholfen. Zwei Jahre lang schrieb Simon Briefe über Briefe, er wollte das Verbot nicht akzeptieren. Doch erst 1988 wurde „Jadup und Boel“ zum ersten Mal aufgeführt.

Nur noch historische Stoffe, sagte sich Simon nach dieser Erfahrung. Und man merkt noch heute, wenn der 67-Jährige davon erzählt, dass diese Reaktion gleichzeitig Trotz und Protest war. Rainer Simon passte sich nicht an, genauso wenig wie er sich unterkriegen ließ. Als man ihn auf Leonhard Franks Novelle „Karl und Anna“ aufmerksam machte, wusste Rainer Simon sofort, dass er den Stoff für seinen nächsten Film gefunden hatte.

Es geht um zwei Männer in Kriegsgefangenschaft, die dieselbe Frau lieben. Damit die unerfüllte Liebe des einen doch noch in Erfüllung geht, nimmt er die Identität des Anderen an. „Diese Novelle ist wie ein Kammerspiel gestaltet, so dicht, so außergewöhnlich.“ Und es sei ein Antikriegsthema, wo nicht ein einziger Schuss falle, trotzdem aber die Verheerungen, die der Krieg im Inneren der Menschen anrichtet, gnadenlos bloßgelegt werden. Drei Monate brauchte er, bis er mit Katrin Waligura, Joachim Lätsch und Peter Zimmermann die richtigen Schauspieler für seine Verfilmung unter dem Titel „Die Frau und der Fremde“ gefunden hatte.

1984 war der Film abgedreht, ein Jahr später lief er im Wettbewerb der Berlinale. Als Rainer Simon in der Nacht vor der Preisverleihung in seinem Hotelzimmer davon erfuhr, dass sein Film den Goldenen Bären bekommen sollte, wollte er das zuerst nicht glauben. „Damals war Jean Marais Jury-Vorsitzender und wir rechneten damit, dass französische Filme das Rennen machen würden.“ Doch nachdem er selbst ein paar Anrufe gemacht hatte, war die Gewissheit da.

Wer den Goldenen Bären in Simons Wohnzimmer entdecken will, der muss sich lange und sehr genau umschauen. Die begehrte Trophäe steht auf dem Boden inmitten von zahlreichen Holz- und Keramikfiguren, die aus aller Welt stammen und von den Reisen ihres Besitzers erzählen. Rainer Simon hat dem Goldenen Bären keine Sonderstellung gegeben, er hat ihn in sein Leben eingereiht.

Bis 1993 drehte Simon auf dem DEFA-Gelände in Babelsberg. Die Erfüllung wie in den ersten Jahren konnte er aber nicht mehr finden. „Früher habe ich fast alles meinen Filmen untergeordnet.“ Als er 1988 für einen Film über Alexander von Humboldt zum ersten Mal nach Ecuador reiste, lernte er, dass es noch mehr geben kann als seine Arbeit. „Diese Armut wirkte auf mich wie ein Schock“, sagt Simon. Doch gleichzeitig habe ihn die Herzlichkeit der Einheimischen und ihr Umgang mit der Natur fasziniert und zum Nachdenken gebracht. „Der Gedanke, als Mensch nur ein Teil der Natur zu sein und nicht dazu verleitet zu werden, sich über sie zu stellen, gefällt mir sehr.“ Seit seiner ersten Reise nach Ecuador ist Rainer Simon jedes Jahr wiedergekommen. Er hat Filme über die Ureinwohner gedreht, Bücher geschrieben und auch einen Patensohn in Ecuador, den mittlerweile 16-jährigen Pachacutec, der ihn zur Zeit in Potsdam besucht. Wenn Rainer Simon von diesen Reisen erzählt, klingt es, als würde er über ein neues Leben reden, das er entdeckt hat. Und es wird klar, warum der Goldene Bär nur eines von den vielen anderen Erinnerungsstücken ist.

„Die Frau und der Fremde“ ist morgen, ab 21.30 Uhr im Open Air Kino im Vulkan des Filmparks Babelsberg, August-Bebel-Straße 26 -53, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro.

Dirk Becker

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