Von Almut Andreae: Verlieren in wiegenden Baumkronen
Anna Werkmeisters Konzentration durch Reduktion / Am 1. Advent lädt die Künstlerin ins Offene Atelier nach Groß Glienicke
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Wenn man etwas lange, sehr lange betrachtet, beispielsweise vertrocknetes Schilf, wie es sich leicht im Wind bewegt, oder die Flugbewegungen ausschwärmender Bienen, oder wenn man sich mit Augen und Ohren im Rascheln wiegender Baumkronen verliert, geschieht möglicherweise etwas Unerwartetes. Die sich wiederholenden Bewegungs- und Geräuschmuster erlangen in der Wahrnehmung eine ganz neue Präsenz. Hervorgebracht als Frucht intensiven Hinschauens und gesteigerter Aufmerksamkeit. Für Anna Werkmeister besteht genau hier die Faszination: in der Wahrnehmung selbst von ganz alltäglichen Dingen, ja scheinbaren Belanglosigkeiten auf Entdeckungsreise zu gehen. Dieses Erstaunen, diese wachsende Lust an der „Wahrnehmung hinter der Wahrnehmung“, wie sie es nennt, gibt sie weiter: durch ihre Kunst.
In ihrer Ausstellung „swing on“, die gerade im Forum Konkrete Kunst in der Erfurter Peterskirche zu sehen war, installierte die Künstlerin schwarz-weiße Streifenmuster auf langen Papierbahnen. Die verwendeten Streifen waren eine Weiterbearbeitung jenes Reizmusters, das erwiesenermaßen auf Motten eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. In der Vergrößerung der Schwarz-Weiß-Struktur auf Papier arbeitet die Künstlerin mit Schärfe und Unschärfe, wodurch sich eine ganz neue Optik ergibt.
Wahrnehmen – aus dem Zusammenhang lösen – transformieren: So in etwa ließe sich die Vorgehensweise von Anna Werkmeister auf eine Kurzformel bringen. Dabei bewahrt sie sich die Offenheit, jederzeit künstlerisch Neuland zu betreten. Bei einem Besuch in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Cottbus erregte im dämmrigen Licht eines ehemaligen Wirtschaftsraums ein Ventilator ihre Aufmerksamkeit. Aus der Faszination für den sich nutzlos drehenden Ventilator entstand die Idee für eine Videoarbeit. Unter dem Titel „Sensor“ in diesem Jahr realisiert, war sie erst kürzlich auf der Art Forum Berlin zu sehen. Das Interesse der 1949 geborenen Thüringerin, die seit über 25 Jahren in Berlin lebt und arbeitet, richtet sich auf die Analyse und Neuinszenierung formaler Strukturen. Man ist daher versucht, ihre Kunst als konstruktivistisch zu bezeichnen. Anna Werkmeister spricht hier lieber von „Konzentration durch Reduktion“. Während sie in früheren Jahren vor allem ab strakt malte und skulpturale Lichtobjekte machte, tritt sie mittlerweile mehr und mehr durch die Bearbeitung eigener Filmaufnahmen als Videokünstlerin in Erscheinung. Mit der Inszenierung von Licht beschäftigt sie sich nach wie vor, meist im Zusammenhang von Installationen.
Im Zuge ihrer verschiedenen Videoarbeiten entstehen immer auch einzelne Standbilder, „Videostills“, die unabhängig vom Film als eigene Bildgattung funktionieren. Mit Videostills aus „Turning Points“, die Standbilder aus ihrem Film über sich langsam drehende Wassermühlräder zeigen, war die Künstlerin in diesem Sommer in der VIP-Lounge des deutschen Pavillons auf der Expo in Saragossa vertreten. Für ihre Videostill-Reihe „Still in move 3“ wurde Anna Werkmeister 2005 im Rahmen eines geladenen Wettbewerbs mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Damit einher ging der prominente Auftrag, das eingereichte Konzept für die Innengestaltung des Atriums der Deutschen Botschaft in Tokio umzusetzen. Seitdem schmückt das preisgekrönte fünfteilige Panorama von bewegtem Schilfgras eine Betonsichtwand des Botschaftsatriums.
Ein wichtiger Lehrmeister ist und bleibt für Anna Werkmeister die Natur. Mit Hilfe ihrer Videokamera sammelt sie Bilder und Töne ein: von vertrocknetem Schilf, von schwärmenden Bienen und von sommerlichem Espenlaub. In der Trilogie „Still in move“ von 2001, die aus aus ganz kurzen Videofilmen besteht, sind die Naturgeräusche in synthetische Lautcollagen eingeflossen. Bewegung wird in der Bearbeitung des Filmmaterials angehalten, beschleunigt und in eine andere Taktung gebracht.
Im Ateliergespräch lässt Anna Werkmeister keinen Zweifel daran, dass sie noch so einige spannende Ideen und Projekte am Laufen hat. Mehr aus ihrer Ideenschmiede erfährt, wer die „Offenen Ateliers“ am Sonntag zu einem Abstecher nach Groß Glienicke nutzt. Hier, inmitten der ständig wachsenden Künstlergemeinschaft „Neues Atelierhaus Panzerhalle“, ist seit einem halben Jahr auch Anna Werkmeister mit von der Partie. So wie ihre zahlreichen Ateliernachbarn kommt sie am 1. Advent bei Kaffee, Tee und Kuchen mit den Besuchern gern ins Gespräch.
Neues Atelierhaus Panzerhalle, Seeburger Chaussee 2, Groß Glienicke (Waldsiedlung). Offene Ateliers: So, 30.11., 11-18 Uhr. Das Atelierhaus wird von Potsdam aus durch einen Bus angefahren (Info: www.potsdam.de)
Almut Andreae
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