Kultur: Verrückt auf Italienisch
Langes Spektakel der Kurzweil am Brandenburger Theater
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Langes Spektakel der Kurzweil am Brandenburger Theater Vor Schauspielern sollte man sich immer hüten, denn bei ihnen weiß man nie, was echt ist, und was Verstellung. Diese simple Erfahrung machte sich der italienische Theatermann Eduardo de Filippo, Autor, Schauspieler und Regisseur in einer Person, wohl zunutze. In seinem Theaterspektakel „Verrückt auf italienisch" fasste er vier Mini-Komödien zusammen, allesamt auf die dunkle Verstellungskunst der Mimen angelegt, wunderbare, dankbare, kluge Texte für Schauspieler und Publikum. Das Brandenburger Theater inszenierte sie jetzt in Koproduktion mit der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“/Institut für Schauspielregie, am angestammten Platz. Wer das sehen will, macht zugleich seine „Wanderungen durch das BT“, denn drei dieser herrlichen Stücke spielen, in simpel weißer Guckkastenart, auf der Studiobühne, eines ist, zur Pause, im sehr besucherfreundlichen Foyer des CulturCongressCentrum gar als Treppenspektakel eingerichtet. Wenn auch im „Geviert“ nicht vollkommen gestaltet, so macht Eduardo de Filippo auch in Brandenburg aus Schauspielern Künstler, freilich nach Maßen. In „Freundschaft" zeigt er einen sehr maroden Mann (Rolf Staude), vermutlich auf dem Sterbebett, denn sein Weib (Marie Gruber) trägt schon zu seinen Lebzeiten Schwarz. Ein Freund will ihn besuchen, aber den Kranken verlangt es nach Tante Mathilde, dann nach den alten Kumpeln von einst. Was bleibt dem stets überzeugenden Thomas Pötzsch (Alberto), als sie alle der Reihe nach zu mimen, ver-wandlungsfreudig, geschickt, komödian-tisch. Herrlich, wie leicht das Thomas Köhler inszenierte. Das zweite Stück schildert mit ähnlichem Ton einen echten Gesellschaftsskandal aus Bella Italia, eine nicht zu verbergende Liebesromanze zwischen dem naiven Schauspieler Alberto (Jorres Risse) und der gräflich verheirateten Bice (etwas blass Nora Leschkowitz); auch für Harald Arnold als geprellten Ehe-Grafen und Olaf Polenske, Schauspieler wie Alberto, ein lohnenswerter Part. Am Schluss dieses flott inszenierten „Vergnügens, verrückt zu sein" (Regie Carl-Hermann Risse) wissen weder die Darsteller noch das Publikum, wer normal oder irre ist. Die mittlere Szene wirkt etwas unübersichtlich, sonst sind Spaß am Verwandeln, szenisches Feuer und sprudelnde Phantasie wie bei einem Fasse, welches schier überlaufen will. Ausgelassen, fröhlich, fast immer gut – jeder Schauspieler ist in seinem Herzen ein Komödiant, er zeigt es nur leider nicht immer. Die anderen beiden Stücke sind genauso brillant geschrieben, nur weniger gut inszeniert. Mit einem Schuss inmitten der Pause setzt „Lebensgefährlich“ die sehr theatralische Zweierbeziehung von Dorothea (Nora Leschkowitz) und ihrem pomadigen Gatten Arturo (Jaron Löwenberg) ein. Pariert sie nicht, so feuert er mit dem Revolver auf sie, und sofort verwandelt sie sich in ein braves Kätzchen - bis alles von vorne losgeht. Dies muss ein angereister Freund (Jorres Risse) schweißgebadet miterleben. Der Schluss dieses flotten Spieles im Foyer bleibt freilich, trotz allen Witzes, tragisch ungeklärt. Ganz heraus fällt „Die Kunst der Komödie“, darin Harald Arnold, als in die Provinz verbannter Präfekt, alles abverlangt wird. Die Honoratioren der Stadt stehen Schlange, ihm ihre Aufwartung zu machen, als erster der Chef des soeben abgebrannten Stadttheaters, Campese (Olaf Polenske, sehr gut). Ein hübscher Disput über die „Krise des Theaters“ am BT bringt lokale Brisanz. Als sein Anliegen abgewiesen wird, ist sich auch sein Sekretär (sehr geschmeidig Jaron Löwenberg) nicht mehr sicher, ob die folgenden Besucher „echt“ sind, oder von Campese geschickte Komödianten der Rache. Wunderbare Soli folgen: Marie Gruber als Lehrerin im Wahn, einen Schüler auf dem Gewissen zu haben, Rolf Staude als pistazien-werfender Padre, Renate Siegl eine berufsmüde Amtsärztin. Sehr, sehr gut, aber wo blieb nun die Doppelbödigkeit als Kunst der Komödie? Es schien, als hätte das vierköpfige Regie-Team (Carl-Hermann Risse, Agnes Hansch, Nico Dietrich, Kai Tuchmann) über den gut gearbeiteten Soloparts das Ganze vergessen. Auffällig an diesem dreistündigen Theaterspektakel der Kurzweil: Die brillante Ensemble-Leistung, der Wille zum Handwerk der Bühne, der Mut zur komischen Verstellung. Filippos Texte waren allen am BT wie ein Gesundbrunnen, der alte und gute Theater-Tugenden weckte. Letztlich aber wurde das Publikum nicht „verrückt-italienisch“ entlassen, sondern mit tragikomischem Wink, in grave, das ist deutsch. Und mit Immanuel Kant, wonach Zivilisationsgrad und Theatralität einer Gesellschaft ganz unvermittelt zusammengehören. Gerold Paul Nächste Vorstellungen 27.9. um 19.30 Uhr, 28.9., 15.00 Uhr, Treff im Foyer des CCC.
Gerold Paul
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