
© Charlotte Joël-Heinzelmann
Kultur: Verschenktes Potenzial
Die Lesung zu Uwe-Karsten Heyes Benjamin-Biografie driftete in eine seltsame Diskussion ab
Stand:
Ein deutsches Lesebuch habe er schreiben wollen. Ein deutsches Lesebuch nach den Erinnerungen der Benjamins, deren Familie hundert Jahre deutscher Geschichte widerspiegele. So leitete Uwe-Karsten Heye am vergangenen Freitagabend die restlos ausverkaufte Buchpremiere zu seinem aktuellen Werk „Die Benjamins - Eine deutsche Familie“ in der Villa Quandt ein. Eine Einleitung, die einen Abend voller Spannung und neuer Erkenntnisse versprach. Leider blieb es bei der bloßen Erwartung.
Dabei hätte es ein wirklich guter Abend werden können, wo doch Autor und Werk so viel interessantes Potenzial bieten: Heye, 1940 geboren, war Pressereferent und Redenschreiber für Willy Brandt und ab 1990 Pressesprecher von Gerhard Schröder in Niedersachsen. Nach seiner Zeit als Regierungssprecher von 1998 bis 2002 war er Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in New York und arbeitete als Autor bei ARD und ZDF. Seine niedergeschriebenen Erinnerungen an Flucht und Nachkriegszeit „Vom Glück nur ein Schatten“ wurden 2011 unter dem Titel „Schicksalsjahre“ mit Maria Furtwängler verfilmt.
Nun hat er sich mit „Die Benjamins - Eine deutsche Familie“ einer Familienbiografie angenommen, die das Schicksal von fünf Menschen erzählt. Da ist Walter Benjamin, der Philosoph und Autor, sein Bruder Georg Benjamin, der im KZ Mauthausen ermordet wurde, dessen Frau Hilde, erste Justizministerin der DDR, seine Schwester Dora Benjamin und schließlich Hildes und Georgs Sohn Michael, Rechtsprofessor in Moskau und Ostberlin. Auf der Grundlage von bislang unbekanntem Archivmaterial sowie Gesprächen mit Zeitzeugen bettet Heye die Familiengeschichte in die deutsche Geschichte ein.
Und genau dieser Punkt ist es, dem die Lesung – und zum Teil auch das Buch selber – zum Verhängnis wurde. Zu sehr pochte er immer wieder auf die, seiner Meinung nach, verkehrte Geschichtsbetrachtung der DDR, anstatt auf das eigentliche Thema, die Familienbiografie einzugehen. Zu Beginn hielt er noch daran fest, berichtete, wie nahe ihm vor allem Georg Benjamin während der Recherchen gekommen sei. Ein fast schon persönlicher Moment, der wundervoll zu der Lesung aus dem elften Kapitel „Mutter und Sohn“ überleitete, in dem es um die Beziehung zwischen Hilde und Michael sowie das Verhältnis zum Ehemann und Vater Georg geht.
Ein emotionales Kapitel, das weniger die politisch fragwürdige Person, sondern mehr den Menschen Hilde Benjamin beleuchtet.
Ein Zugang, dem sowohl das Publikum als auch Michael Naumann, der die anschließende Diskussion moderierte, zu gefallen schien. Doch dann kippte der Abend: Heyse flüchtete sich in Aussagen wie: „Das Desaster der Deutschen war nicht die DDR, sondern der Nationalsozialismus. Aus dem folgte das alles“ und „Es ist endlich an der Zeit, mit einem weniger kritischen Blick auf die DDR zu blicken.“ Auf die mehrfach geäußerte Bitte, doch zum eigentlichen Thema zurückzukehren, ging er, zum deutlichen Missfallen des Publikums, nicht ein. Als er schließlich behauptete, die BRD sei bis in die 60er-Jahre die vom Heimatfilm besonnte Wiederkehr der Nazizeit gewesen, nur ohne Hitler und Goebbels – ein Satz, der auch in seinem Buch zweimal auftaucht –, verließen die ersten die Veranstaltung. So vielversprechend und gut gelaunt wie die Buchpremiere begann, so enttäuschend und bedrückend endete sie. In verschenkten Erwartungen und verschenktem Potenzial.
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