Kultur: Verwartete Zeit
25. Friedensdekade: Podiumsgespräch über illegale Flüchtlinge im Filmmuseum
Stand:
25. Friedensdekade: Podiumsgespräch über illegale Flüchtlinge im Filmmuseum „Ein Handy haben alle illegalen Flüchtlinge, eines, das nur angerufen werden kann, das ist ihr Netzwerk", weiß Andreas Voigt, Grimmepreisträger und Regisseur des beim Filmfest Leipzig preisgekrönten Films „invisible – illegal in Europa", der am Mittwoch in Potsdam im Filmmuseum zur Diskussion stand. Ein Netzwerk aus Familie und Freunden brauchen diejenigen, die in ständiger Angst vor Ausweisung im reichen Europa ihr Glück suchen. Wie Edita, der Transvestit aus Ecuador. Wie er, so erzählt Voigt im Gespräch mit Tim Jäger vom rbb und der Flüchtlingsseelsorgerin Annette Flade, leben noch 3000 weitere illegale Transsexuelle in Paris. Edita ist bislang fünfmal ausgewiesen worden und immer wieder ist sie zurück gekehrt. In der südamerikanischen Heimat war Edita (männlicher) Frisör, in Frankreich geht sie im Minirock auf den Strich. Voigt hat sich für die Erzählung der fünf Schicksale viel Zeit genommen, über Jahre hält er den Kontakt zu seinen Figuren. Gerade war er in Leipzig. Dort sitzt nun der Algerier Zakari in Haft, der im Film noch in einem Kellerloch von Wohnung von dem Leid erzählt, seit fast zehn Jahren ohne Papiere, ohne Arbeit, ohne Familie, ohne Geld und ohne Frau in der Illegalität zu leben. Ein Zuschauer fragt, wie man denn helfen könne, an wen man schreiben könne in seinem Fall. Die Anteilnahme im Publikum ist groß. Man will wissen, ob der Regisseur nicht selbst bei seiner Arbeit mit den illegalen Asylanten häufig vor der Herausforderung stand, privat Hilfe anzubieten. „Sicher“, sagt er bescheiden, „hätten sich Freundschaften entwickelt, man kommt den Menschen sehr nahe“, man habe auch mit Geld geholfen. Voigt lässt die Flüchtlinge aus Tschetschenien, Afrika und Südamerika ohne zu werten und zu interpretieren erzählen. „Frei von Habgier nach journalistischer Sensation“, nennt das einer der rund fünfzig Zuschauer anerkennend. So glaubt man zunächst dem in den Niederlanden in Abschiebehaft sitzenden Afrikaner Prince, er komme aus Sierra-Leone, hätte niemanden mehr in der Heimat. Prince zeigt Fotos seiner holländischen Freundin. Er wird dann nach Nigeria abgeschoben, wo er seine Frau und seinen Sohn wieder trifft. Sie werden sparen, sagt diese, damit Prince bald wieder nach Europa reisen könne. „Invisible" richtet hier nicht über die „bloß" wirtschaftlichen Gründe. Voigt ist davon überzeugt, dass die Unterscheidung zwischen politischen Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen zu kurz greift. Er ist sich auch sicher, dass die Flüchtlingswelle solange anhält, wie das Armutsgefälle zwischen Nord und Süd bestehen bleibt. Die Pläne des Innenministers, in Nordafrika Auffanglager für Asylsuchende zu bauen, nennt er zynisch. Auch für Annette Flade, die Flüchtlingsseelsorgerin der Evangelischen Kirche Potsdam, ist der unbedingte Wunsch, nach Europa zu gelangen, nach vielen Reisen verständlich geworden. In Nigeria hat sie gesehen, wie Millionen Menschen auf der Straße leben und mit sich nichts anzufangen wissen. „Sie verwarten ihre Zeit", so die Seelsorgerin. In Deutschland leben nach Schätzungen ein1 Million Illegale, alleine 100000 davon in Berlin. Erst vorgestern habe sie mit einem illegalen Flüchtling in Potsdam gesprochen. Flade sieht das Thema in Deutschland „tabuisiert“. „Wir gehen mit diesen Menschen um, als ob es sie nicht gäbe." Auch das neue Zuwanderungsgesetz berücksichtigte diese verlassenen Menschen nicht. Flüchtlinge und auch diejenigen, die Hilfe und Beistand anbieten, wie sie selbst, sähen sich einer willkürlichen Kriminalisierung ausgesetzt. Anders als in Frankreich, wo vor kurzem eine Amnestie erlassen wurde. Würde es nach dem Gesetz gehen, so Flade, „müsste ich schon zehnmal im Gefängnis sein.“Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: