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Kultur: Verzweiflung nimmt am Tisch mit Platz

Die Bilder des Peter Edel: Das Filmmuseum Potsdam zeigte fast sechs Stunden lang die vierteilige Fernsehserie „Die Bilder des Zeugen Schattmann“

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Das Festessen fällt bescheiden aus. Ein Rührkuchen zum Abendessen. Es ist das letzte Abendessen, das die Freunde im Oktober 1942 zusammen einnehmen. Sie wissen es noch nicht. Nur zwei von ihnen werden die nächsten Monate überleben. Der Pianist, dem im KZ die Finger gebrochen werden, und Frank Schattmann.

Frank Schattmann ist der Name, den sich Peter Edel in der Literarisierung seiner Biografie gibt. 1969 veröffentlicht er in der DDR den Roman „Die Bilder des Zeugen Schattmann“, der 1971/72 für das Fernsehen mit Stars wie Renate Blume, Annekathrin Bürger und Gunter Schoß verfilmt und bis 1989 fünfmal ausgestrahlt wurde. Im Kino wurde die vierteilige Fernsehserie erstmalig am Sonnabend gezeigt. Trotz der knapp sechsstündigen Filmlänge war das Filmmuseum beinah ausverkauft. Sehr junge Menschen, die bei der Entstehung von Buch und Film noch lange nicht geboren waren, saßen neben solchen, zu deren Lebensgeschichte die gezeigten Ereignisse zu gehören schienen. Die Sitzreihen wurden auch am Nachmittag nicht leerer.

Zu dem Festessen auf der Leinwand erscheint ein später Gast. Nur er trägt eine Kippa, denn es ist Freitagabend, Sabbat. Die Gäste haben längst die Tradition des Kerzenanzündens und des Gebetes vergessen. Ihre Gegenwart ist die der Entrechtung und Ächtung, gereizt und angespannt haben sie sich gegenseitig angegriffen und nach einem Konsens in einer ausweglosen Situation gesucht. Durch die kammerspielartige grandiose Inszenierung nehmen die Zuschauer teil an der Verzweiflung. Sie bekommen in Rückblenden den Alltag, die täglichen Demütigungen der Protagonisten vorgeführt. Der ehemals angesehene Antiquitätenhändler muss als Toilettenwart sein Leben fristen und bekommt den Gestank nicht vom Leib geschrubbt. Ein Kaufmann ist zum Schrotthändler, zum „Schrottschwein“ degradiert. Die Opernsängerin braucht nur ihre von der Zwangsarbeit zerschundenen Hände zu zeigen und mit ihrer brüchigen Stimme zu sprechen, um zu dokumentieren, was sie täglich erleidet.

Der Freundeskreis zeigt aber auch ein überraschend differenziertes und, wie der Filmhistoriker Frank Stern in der anschließenden Podiumsdiskussion betonte, authentisches Bild des Berliner Judentums dieser Zeit. Der deutschnationale Hintergrund des Gastgebers wird kontrastiert mit der kommunistischen Orientierung Schattmanns, säkulares Selbstverständnis mit religiöser Kultur. In keinem anderen deutschen Film nach 1945 wird das Sabbatgebet, zu dem sich die Schicksalsgemeinschaft von dem späten Gast überreden lässt, im zeitgenössischen Hebräisch gesprochen. Es bleibt die einzige religiöse Szene im Film, denn auch die folgenden drei Teile fokussieren je ein Thema. Zwangsarbeit und Konzentrationslager werden im zweiten Teil gezeigt, während der dritte Teil wieder um einen Tisch kreist. Der Pianist trifft in einer Münchner Kneipe auf jenen Kommissar, der Frank Schattmann und seine Freunde gefoltert hat. Es ist zunächst ein harmloses Gespräch unter alten Männern, das sich unversehens in eine Debatte um Wiedergutmachung, juristische Aufarbeitung der Schoa und den Staat Israel wandelt. Der letzte und erzählerisch schwächste Teil zeigt Schattmanns Leben in der DDR und seine Versuche, das Grauen zu verarbeiten.

Der Hauptdarsteller Gunter Schoß wies in der Diskussion darauf hin, dass diese in der DDR breit rezipierte Fernsehserie ein Argument gegen die häufig zu hörende Behauptung sei, in der DDR wäre über die Judenvernichtung geschwiegen worden. Der Film sei deshalb so wichtig, so Stern, weil er in der Darstellung der Opfer kaum Stereotype aufweise und selbst die Täter zum Teil individualisiere. Der Antifaschismus, der den Film und das Leben seines Initiators Peter Edel bestimmte, sei ebenso Teil des kulturellen Erbes in Deutschland wie Teil der jüdischen Geschichte und dürfe heute nicht einfach ignoriert werden. Deshalb sollte dieser Film, der sowohl ästhetisch wie inhaltlich anspruchsvoll ist, einer breiten Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.

Ein Eindruck, den auch die Zuschauer bestätigten. Eine junge Frau beschließt, vom Film beeindruckt, die Diskussion mit den Worten: „Es hat sich gelohnt, den ganzen Tag fern zu sehen.“

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