
© Ute Karen Seggelke
Kultur: Via Rom nach Lappland
Die Autorin Sigrid Damm las in der Druckerei Rüss
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Süden oder Norden, Trouble oder Stille – das ist für die bekannte Autorin Sigrid Damm wohl die Frage aller Fragen. Durch einen ihrer Söhne lernte sie den Frieden des schwedischen Lapplands kennen, durch eine Einladung kam sie 1999 für ein halbes Jahr nach Rom, also genau entgegengesetzt. Mehr als zehn Jahre später legt sie mit dem tagebuchartig angelegten Band „Wohin mit mir“ ein nachträgliches Resümee dieser südländischen Reise vor. Der Insel-Verlag nannte diese Publikation sicherheitshalber Roman, und tatsächlich ist in diesen Erinnerungen, Beobachtungen, Begegnungen und Reflexionen neben der Erzählerin auch eine ganze Menge Ich enthalten.
Am Samstag las Sigrid Damm in der fast überfüllten Druckerei Rüss daraus. Christian Rüss begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste mit dem so trefflichen wie wegweisenden Satz: „Was wir über andere reden, betrifft zuerst uns selbst“. Damit war zur Einleitung eigentlich alles gesagt, denn ob Lappland oder Italien, zuletzt kommt man ja doch immer nur bei sich selbst an mit der Erkenntnis, dass man bereits innen trägt, was sich außen befindet. Man muss es nur finden.
Schwedens Einsamkeit nahe am Polarkreis, die primitive Holzhütte des Sohnes dort, Wind pfeift durch die Ritzen, lange Spaziergänge mit der Beobachtung, dass Frauen stets nach dem schauen, was vor ihren Füßen ist, Männer und Söhne hingegen nach Weite suchen. Schreiben am Lappland-Buch. In Rom hingegen brodelt und lärmt das Leben. Alles Kultur, alles Geschichte. „Überall ist die Hand des Menschen zu sehen“, notiert die Erzählerin. Sie trifft auf Fremde, memoriert Goethes Rom-Erkenntnisse, die Ingeborg-Bachmann-Hans-Werner-Henze-Fabel, sinniert über Castros Lebens-Irrtümer, reist für ein paar Tage nach Sizilien. Doch in ihrem Arbeitszimmer in Rom hängen die Karten und Bilder des Nordens, da wird mit dem Satz „Ich bin bei mir“ weiter am Lappland-Buch getüftelt. Über Rom schreibt sie erst danach. Und immer wieder Goethe, den sie anfangs gar nicht mochte, weil ihr Vater den Alten aus Weimar gar zu sehr strapazierte. Selbsterkenntnis in Rom, die Sizilienfahrt sind äußere Stationen auch der Autorin, in ihr aber steckt mehr von Johann und Wolfgang, als man ahnt: Sigrid Damm mit ihrem Leben ist sozusagen in die undurchdringliche Welt des Faust geraten, wo es ja auch ganz elementar um die Nord-Süd-Problematik geht. Mehr noch, wie der Pudel anfangs Faust umkreist, so hat auch sie sich mit ihren Büchern über Klinger und Christiane Goethe in Kreisen angenähert, ist dabei sukzessive in die Vita des Weimarers hineingerutscht. Zur Erinnerung: Sigrid Damm studierte neben Philosophie und Geschichte auch Germanistik. Das kommt davon!
Vor den Koordinaten dieses Hintergrundes ist „Wohin mit mir“ natürlich nichts für verträumte Touris oder für Goethe-Schwärmer. Es ist ein Stück Selbsterkenntnis, ein Stück Intimität der Autorin, das mehr oder weniger fiktive Protokoll einer Wegsuche, auch das Forschen nach einer neuen Heimat. Denn nach dem Sturz ihres Landes in den Abgrund sei viel Leere in ihr gewesen. Im Süden findet sie zwar viel Schönheit, doch Lappland ist Lappland. Dort, in der einsamen Hütte fast am Polarkreis, hat sie Balance und innere Freiheit wiedergefunden, hat über Christiane von Goethe geschrieben, hat in wirklicher Ruhe über sich nachdenken können.
So dicht und so glaubhaft sie schreibt, so las sie auch aus diesem Text: leise, gemächlich, ohne viel Emotion. Er beschreibt das Leben draußen als ihr Leben drinnen. Wohin also mit ihr? Nach Lappland natürlich, zu ihrem Lebensmittelpunkt, auch wenn die Hütte inzwischen verkauft ist. „Schweden war ja schon immer in mir“, sagt sie. Bei Sigrid Damm führen eben alle Wege dorthin, sogar via Rom, und natürlich mit Goethe! Gerold Paul
Sigrid Damm: „Wohin mit mir“, Insel Verlag, 286 Seiten, ISBN 978-3-458-17529-2
Gerold Paul
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