Kultur: Vielleicht nur einen kurzen Sommer
Die Potsdamer Jazzband „98 Strings“ tritt morgen zum ersten Mal öffentlich auf: bei Fête de la Musique
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So schnell wurde wohl noch nie eine Band getauft. Von einer Minute auf die andere musste sich Richard, das 17-jährige „Küken“, einen Namen für sein Jazzquartett überlegen: Schließlich wollten sie bei Fête de la Musique mit aufspielen, und der Festival-Organisator pochte am Telefon auf eine sofortige Eingebung. Also zählte Richard kurz die Saiten ihrer Instrumente zusammen und schon waren die „98 Strings“ geboren. 88 davon gehen allein auf sein Piano-Konto, die um Olivers Gitarren- und Marcels Kontrabass-Saiten ergänzt werden. Nur Schlagzeuger Gerhard Haß blieb außen vor, aber er wird sich auch so Gehör verschaffen.
Spätestens morgen zur Fête de la Musique – ihrer Band-Premiere. Die Potsdamer Musiker werden um 14 Uhr am Café Backstolz mit ihrem Jazzblues, Bossanova und südamerikanischen Rhythmen um Zuhörer buhlen und dabei auch im eigenen Spaß aufgehen. Denn endlich ist es soweit, dass sie aus dem Probenraum, wo sie sich vor vier Monaten das erste Mal musikalisch die Karten legten, in das Konzertleben stürzen können. Vielleicht nur einen kurzen Sommer lang, denn gerade hat ihr Kontrabassist Marcel Siegel die Zusage zum Studium an der Musikhochschule in Weimar bekommen. „Wir freuen uns für ihn, er hat hart dafür gearbeitet“, beteuern seine Mitstreiter, aber es schwingt auch die Sorge mit, dass die Band auseinanderbrechen könnte. „Es ist schwer, in unserem Alter einen Jazz-Kontrabassisten zu finden, der dazu noch so gut ist“, wissen Richard Oeckel und Oliver Fröhlich.
Doch noch wollen sie sich darüber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen: „Jetzt stimmt erst einmal alles: die Band-Chemie und auch das Repertoire“, das sie untereinander angeglichen haben. Und das jedem auch ein solistisches Auftrumpfen ermöglicht. „Das ist das Schöne am Jazz, jeder kann seine Vorlieben ausleben. Genauso wichtig ist es aber auch, die anderen gut zu unterstützen und zu begleiten.“
Jeder sei aus einer anderen musikalischen Ecke gekommen. Richard beispielsweise blieb im Plattenschrank seiner Eltern beim Blues hängen. Mit Musik Emotionen zu wecken, so wie einst Champion Jack Dupree, das wars, was ihn ans Piano trieb. Jeden Tag neu. Und mit diesem Ehrgeiz und einem guten Lehrer wie Alt-Blueser Milan Samko, steht er nun den anderen in nichts nach, auch wenn sie ihm bis zu acht Lebensjahre im Voraus sind. Über seinen Bruder, der der Metal-Musik verfallen ist, wurden Schlagzeuger und Kontrabassist auf ihn aufmerksam und nach einem nicht ganz so gelungenen Vorspiel haben sie inzwischen das richtige Feeling füreinander gefunden. „Ich werde genauso ernst genommen. Bei uns hat jeder den gleichen Status“, betont Richard, der Einstein-Gymnasiast.
Oliver hat in einer Band an seiner Gesamtschule Rock und Pop gespielt. „Die Gitarre war meine Freizeit.“ Und als es später als Backpacker nach Australien ging, warf er natürlich auch die Klampfe über die Schulter. Sie öffnete ihm menschlich viele Türen, und manchmal auch Portemonnaies, wenn er seinen Koffer auf die Straße legte und zu zupfen begann. So wie es der 25-Jährige auch in Potsdam praktiziert. Mit Musik möchte er später sein Geld verdienen. Heute könnte ein Weiche dafür gestellt werden, in der Aufnahmeprüfung zum Studium der Musikpädagogik. Jazz ist inzwischen auch seine Heimat. „Diese Musik ist ein Geben und Nehmen. Sie ist wie eine Sprache. Wer sie spricht, mit dem kann man reden.“ Also arbeiten die Vier zwei, drei Mal die Woche am richtigen Vokabular, um die wichtigsten Jazz-Standards in die Finger und ins Blut zu bekommen. „Der Rahmen ist klar, aber die Entfaltung darin, völlig frei. Improvisieren, das ist wie Komponieren aus dem Moment heraus.“ Dabei wissen Gitarrist und Pianist, dass sie auf dem Rhythmusteppich ihrer Mitstreiter sicher treten können. Nach ihrer morgigen Feuertaufe soll es munter weiter gehen. „Viele Gastronomen haben schon Interesse bekundet.“ Es macht ihnen nichts aus, vielleicht nur der Hintergrund beim Essen und Erzählen zu sein. „Wir spielen trotzdem mit vollem Herzen und werden versuchen, die Leute mitzureißen.“ 98 Strings können schließlich eine Menge bewirken.
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