Kultur: Vom Beginn zweier neuer Leben
Der flämische Autor Yves Petry stellte seinen Roman „In Paradisum“ in der Villa Quandt vor
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Am Anfang ist das Blut. Süß und wild kommt es daher, fließt über den Boden, hinterlässt dort kleine Rinnsale und Pfützen. Es ist ein eindringliches Bild, mit dem der flämische Autor Yves Petry seinen Roman „In Paradisum“ beginnen lässt. Was zunächst eklig und abstoßend klingt, wirkt bei ihm allerdings wie eine poetische Komposition. Ein rauschender Auftakt zu einer Geschichte, die von der Verlorenheit zweier Menschen erzählt. Im Rahmen der bereits zweiten Lesereihe „Niederländische und Flämische Autoren im Land Brandenburg“ vom Brandenburgischen Literaturbüro stellte er das Buch am vergangenen Dienstagabend in der Villa Quandt vor. Auf der Frankfurter Buchmesse, die sich in diesem Jahr ebenfalls den Schriftstellern aus Flandern und den Niederlanden widmet und die am 19. Oktober beginnt, wird Yves Petry ebenfalls zu Gast sein.
„In Paradisum“ ist bereits Petrys fünfter Roman, jedoch der erste, der in die deutsche Sprache übertragen wurde. Einen deutschen Verlag hat das Buch allerdings nicht, es ist im österreichischen Luftschacht Verlag erschienen. Der ehemalige Hans-Otto-Theater- Schauspieler Hans Jochen Röhrig gab der deutschen Version seine Stimme, die vor allem die leicht mystische, beinahe sakrale Stimmung der anfänglichen Tötungsszene ausdrückte.
Erzählt wird die Geschichte von Marino und Bruno, die auf der realen Tat des sogenannten Kannibalen von Rotenburg aus dem Jahr 2001 basiert. Damals fanden sich zwei Männer gezielt im Internet, der eine wollte und sollte sterben. Petry faszinierte an dieser Tat vor allem die Freiwilligkeit des Opfers, die den Fall zu etwas Einzigartigem macht, wie er am Dienstag erzählte. Rekonstruieren wollte er die Geschichte von damals allerdings nicht, sondern auf seine eigene Art erzählen. Und so treffen seine Protagonisten zufällig aufeinander. Der eine Computertechniker, der andere Literaturdozent, beide haben den Halt im Leben verloren. Als sie sich dann treffen, finden sie ihn aneinander wieder. Dass Marino Bruno dabei tötet, ist im Prinzip nur der Beginn zweier neuer Leben, wie Petry erklärte. Denn Bruno, der intellektuelle Literaturdozent, der seinen Glauben an die eigene Wissenschaft verliert, wird letztendlich zur Stimme des Romans. „Er ist derjenige, der Marino die Geschichte, also das Buch diktiert“, so der 1967 in Belgien geborene Schriftsteller. Damit wird er zu einem jener Schriftsteller, für die er sonst seine Studenten begeistern wollte, findet zurück zur Literatur und lässt ihn sogar den ewigen Kampf um deren Bedeutung gewinnen.
Ein wenig sei das auch sein eigener Kampf, gab Petry zu. Selbst studierter Mathematiker und Philosoph habe er oft mit dem Konflikt zu kämpfen gehabt, ob er sich nun der Wissenschaft oder doch der Kunst widmen sollte. „Und als Schriftsteller frage ich mich natürlich auch, wozu ich das eigentlich mache.“ Letztendlich wollte er mit seiner Literatur so in Seelen eindringen und sie vielleicht sogar verändern, wie es die großen Stilisten mit ihm getan hätten. Das sei allerdings gar nicht so leicht, wie er hinzufügte. Und doch ist es ihm mit „In Paradisum“ gelungen – einem Roman, der kleine Rinnsale hinterlässt, wie das Blut zum Anfang der Geschichte. Sarah Kugler
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