Kultur: Vom Ich zum Wir
Die Potsdamer Kantorei und das Neue Kammerorchester Potsdam musizierten Psalmvertonungen
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Die Psalmen, vor mehr als 3000 Jahren entstanden, sind große Literatur. Komponisten wurden von ihnen inspiriert, sie zu vertonen, immer wieder und immer neu. So der Barockmusiker Heinrich Schütz sowie der Romantiker Felix Mendelssohn Bartholdy, auch Arvo Pärt, ein Komponist unserer Zeit. Für Juden und Christen gehören die Lob- und Klagegebete gleichermaßen zum Kanon ihres Glaubens. Auch für den aus Israel stammenden Dirigenten Ud Joffe und für die meisten Mitglieder der Potsdamer Kantorei und des Neuen Kammerorchesters Potsdam, die zur „Musik an der Erlöserkirche“ gehören.
Diese Vertrauenslieder und Verzweiflungsschreie haben für jeden, der sie spricht oder singt, einen ganz individuellen Beweggrund. Das Ich des Beters kann aber durchaus ein gemeinschaftliches werden, wie das Wir von einem Einzelnen erfahren wird. So wurde es hörbar am Sonntagnachmittag in der Erlöserkirche.
Natürlich werden in musikalischen Veranstaltungen und in Gottesdiensten Vertonungen von Psalmen aufgeführt, doch Ud Joffe hat ein Konzert initiiert, das sich ausschließlich mit diesen Gebeten in Musik beschäftigt. Darüber hinaus war es auch eine gelungene ökumenische Veranstaltung von Juden und Christen. Zu den Mitwirkenden gehörte die junge israelische Sopranistin Keren Hadar.
Die inhaltliche Mischung aus nachdrücklichem Flehen, vertrauensvollem Preisen und zagem Hoffen findet ihre Entsprechung in einer Folge spannender Kontraste. Zu Beginn erklang als Uraufführung „De profundis“ (Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir) des Esten Arvo Pärt für Männerchor und Orchester, ein Werk, das den strengen Prinzipien des Tintinnabuli-Stils verpflichtet ist, ein von dem Komponisten entwickeltes Verfahren. Mit Pärt begibt man sich auf eine fast archaische Klangreise ins Mittelalter. Die anscheinend betont fasslichen Strukturen des Werkes wurden von den Herren der Kantorei mit der notwendigen Konzentration und Ruhe zur Entfaltung gebracht.
Heinrich Schütz“ vertonte die „Psalmen Davids“ (man musizierte die Psalmen 2, 122, 136, 137). Er hat sie in der Kompositionstechnik seines venezianischen Lehrers Giovanni Gabriel geschrieben: Neben der Sprachmelodik wurde der Klang zu einem weiteren wichtigen Gestaltungsmittel. Das Gegenüber von Favoritchor und Kapellchor hat Schütz favorisiert und den gesamten Kirchenraum in die Aufführung einbezogen. Doch wegen der Baugerüste konnte man die Emporen in der Erlöserkirche nicht benutzen. In ihm wäre die verschiedene Platzierung von Chorgruppen nämlich bestens geeignet. So musste man alle Werke vom Altarraum aus musizieren. Aber dennoch hat Joffe ein abwechslungsreiches Farbenspiel erreicht. Großen Wert legte er auch auf die rhetorische Ausdrucksstärke in jedem einzelnen Satz. Und somit erstarrte die Musik nicht in opulenter Klangpracht, sondern wirkte immer wieder aufs Neue „beredt“. In die Gestaltung- und Kontrastmöglichkeiten bezog Schütz auch Instrumente ein, die in dem Erlöserkirchenkonzert unablässig mitwirkten.
Die Kantorei sang überaus noten- und stilsicher, ließ sich von Joffe zu bewunderungswürdigen Leistungen inspirieren. Wach, treffsicher und klanglich ausgewogen präsentierten sich die Sänger in Best-Form. Höhepunkt wurde der 136. Psalm (Danket dem Herrn), der in beinahe sportlichem und doch nachvollziehbarem Tempo mit großer Musizierfreude wiedergegeben wurde. Zu den Ausführenden gehörte hierbei das Quartett mit Keren Hadar und Sophie Malzo, Sopran, Christian Mücke und Thomas Kalka, Tenor. Die mit einem edlen Sopran beschenkte Keren Hadar war die Solistin in Felix Mendelssohn Bartholdys romantischen Gänsehaut-Garant „Wie der Hirsch schreiet“ (Psalm 42), die sie gemeinsam mit Chor und Orchester zu einem Erlebnis von natürlicher Weiträumigkeit werden ließ. Keren Hadar brachte zwischendurch a-cappella den Psalm 71 in hebräischer Sprache zu Gehör: expressiv faszinierend. Zum Abschluss gab es keinen Psalm, sondern die bewegend musizierte alte Friedensbitte „Da pacem Domine“ (Gib Frieden, Herr) von Pärt. Den gesungenen Emotionen konnte man sich nicht entziehen. Großer Respekt vor Ud Joffe und allen Mitwirkenden. Klaus Büstrin
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