Kultur: Vom prallen Leben
In seinem 40. Jahr startet das Studentenfilmfest „Sehsüchte“ mit einem Paukenschlag
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Das pralle Leben. In dem Musikvideo „Demolition Disco – Big Mama“ pulsiert es nur so, der Beat treibt die gierigen Leiber voran, bringt sie zusammen, treibt sie auseinander, lässt die Tanzenden sich aneinander reiben, sich lecken, knutschen, jung und alt, Mann und Frau, krank und gesund, alle machen mit. Der Tanz auf dem Vulkan läutete das diesjährige Studentenfilmfest „Sehsüchte“ (2.-8.Mai) im Thalia-Kino mit einem gehörigen Paukenschlag ein. Lust aufs Leben, so intensiv wie möglich, jetzt und hier, auf Teufel komm raus – so der ungeschriebene Subtext des Musikvideos, das die Münchner Multimedia-Künstler von Kronck gedreht haben (noch einmal zu sehen: Fr. 6.5., 22 Uhr, Thalia 1).
Die Filme, die am Anfang des diesjährigen Filmfestivals der Studierenden der Potsdamer Filmhochschule HFF standen, lassen sich alle unter den Oberbegriff Leben und Sterben packen. So war das Video von Demolition Disco in all seiner fetten Saftigkeit dann auch ein gelungener Kontrapunkt zu dem norwegischen Film „Tuba Atlantic“ von Halvar Witzo. Der Arzt sagt dem 70-jährigen Oskar, dass er nur noch sechs Tage zu leben hat. Eine Angabe so knapp wie präzise. Gleich am ersten Tag seiner Galgenfrist taucht ein junges Mädchen bei Oskar auf, sie sei sein Todesengel, geschickt von einer religiösen Gruppe, um ihm beim Sterben zu helfen. Nach anfänglicher, brüsker Ablehnung lässt sich der passionierte Taubenhasser auf das junge Mädchen, und damit auf seinen Tod ein.
Am Ende vermacht Oskar seinem „Engel“ sogar sein Maschinengewehr, mit dem er täglich die verhassten Möwen abgeschossen hatte. Und nebenbei gibt er seinem in die USA abgewanderten Bruder noch mit einer selbstgebauten Höllenmaschine, einer Art pneumatisch betriebener Riesentuba, ein Zeichen über den Atlantik. Eine wundervoll skurrile Geschichte, die trotz aller Komik doch die Tragik des menschlichen Schicksals mit zarten Nebentönen zu erzählen weiß. Unbedingt ansehen, der Kurzfilm wird noch einmal am Samstag um 16 Uhr im Thalia 1 im Filmblock „The last movie“ gezeigt.
Auch in dem deutschen Animationsfilm „A lost and found box of human sensation“ (Regie Martin Wallner/Stefan Leuchtenberg) wird ein junger Mensch mit dem Tod konfrontiert, mit dem seines Vaters. Seine Trauer ist in Kapitel unterteilt, ein Prozess, in dem er sich von dem Schatten über seinem Leben frei zu machen versucht. Am Ende liegt der junge Mann im Schnee, alleine und hoffnungslos verliebt. Doch er weiß nun, dass es besser ist, etwas zu fühlen, auch wenn es Schmerz ist, als gar nichts zu empfinden (Fr. 20 Uhr, Thalia1). Ähnlich geht es auch dem 14-jährigen Kohleverkäufer Pho Htet Aung in dem Dokumentarfilm „Charcoal Boy“ von Maung Okkar aus Myanmar. Auch er kann seine Angebetete aus reichem Hause nur aus der Ferne anhimmeln. Doch das reicht ihm schon für ein kleines Stückchen Glück (Fr. 21 Uhr, Thalia 2).
Pünktlich waren sie gestartet, die diesjährigen Sehsüchte im Thalia, ohne die in den vergangenen Jahren üblichen Pannen, ziemlich straff organisiert, in der Toilette gab es sogar frische Handtücher. Nur den großen Katalog, den gibt es diesmal nicht mehr: „alles online“ hieß es am Counter. Dass es auch in diesem Jahr für das alljährlich wechselnde Studententeam nicht leicht war, die Finanzierung für das mittlerweile sogar als weltgrößtes Festival seiner Art gepriesene Filmfest zu stemmen, war zu hören. Doch am Eröffnungsabend am Montag versicherten alle einmal mehr ihre Liebe zu dem Festival. Alle? Nun ja, während Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) am Ende seiner langatmigen Ausführungen versicherte, die Förderung für den deutschen Filmnachwuchs beizubehalten, gab Brandenburgs Kultur- und Wissenschaftsministerin Sabine Kunst keine Bestandsgarantie für das Festival ab. Sie freute sich vielmehr, dass das Festival zu den „Coolen“ gehöre und in diesem Jahr mit dem Fokus Türkei ein Land ausgewählt wurde, in das sie selbst vielzählige Kontakte unterhalte.
So musste HFF-Präsident Dieter Wiedemann schließlich einmal mehr von Land und Stadt eine Basisfinanzierung für die „Sehsüchte“ einfordern – wie alle Jahre wieder. „Eine Finanzierung, die dem Marketingwert des internationalen Festivals gerecht wird, das wäre adäquat“, sagte der HFF-Chef. Und noch einen Wunsch hatte Wiedemann im 40. Jahr des Festivals, das 1972 als „FDJ-Studentenfilmtage“ an der damaligen DDR-Hochschule für Film und Fernsehen gegründet worden war. Im kommenden Jahr hätte er die „Sehsüchte“ gerne wieder Ende April. Denn dann endet auch seine 18-jährige Dienstzeit. „So könnte ich die Sehsüchte noch einmal eröffnen“, sagte Wiedemann. Der HFF-Chef hatte seine erste Amtszeit im gleichen Jahr begonnen, als das Festival als „Sehsüchte“ neu aufgelegt worden war. Zumindest diesem Wunsch dürfte nicht viel entgegenstehen, denn 2012 ist Ostern – der Grund für die diesjährige Verschiebung – wieder Anfang April. Schwieriger dürfte es da schon mit dem Wunsch Basisfinanzierung werden.
Das Programm im Internet:
www.sehsuechte.de
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