
© ae-Galerie/Holger Biermann
Kultur: Von Allah zum Aufstand
Zwischen Tschador und T-Shirt: Drei Fotografen erzählen in der ae-Galerie über den Alltag in Kairo
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Er war dabei, als sich am „Tag des Zorns“ Tausende Ägypter gegen die Regierung erhoben: Der Straßenfotograf Andreas Pein aus Berlin, der in seinem Kairo-Langzeitprojekt „the artificial sky“ bereits die verschiedensten Gesichter dieses Großstadtmolochs festhielt. Plötzlich aber weht am 25. Januar, kurz vor seiner Abreise, die Fahne der Revolution im Dunst der Stadt. Unter ihr aufgepflanzte Gewehre, die von der Gefahr eines möglichen Blutbads künden. Auf dem Foto daneben sitzt ein Mann ganz in sich versunken: mit ratlosem Blick. Die Fahne seines Landes hat er wie einen Schutzmantel eng um den Leib geschlungen. Nur zwei Fotos: doch sie fangen beredt die Tage zwischen Aufruhr und Ungewissheit ein. Ohne Rahmen, einfach an die Wand genagelt, erzählten die großformatigen, grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von einem Jahrhundertschritt: von Allah zum Aufstand.
Es sind drei Fotografen, die derzeit in der ae-galerie im Luisenforum über die vermutlich schmutzigste Hauptstadt des Vorderen Orients Auskunft geben. Alle sind Ende 30 und schwören auf die Analogfotografie. Computerbearbeitungen sind ihnen suspekt. Sie ziehen wie einst Henri Cartier–Bresson mit ihren Kleinbildkameras am Handgelenk durch die Straßen – immer auf dem Sprung nach dem richtigen „Schuss“. Wenn beispielsweise drei Muselmanen mit ihren langen dunklen Gewändern durch den Schutt der Altstadt spazieren, über sich einen gewaltigen schroffen Beton-Wohnquader, der auf die weichen Körper zu stürzen droht.
Der aus Tschechien kommende Jan Michalko fängt miniaturhaft das bunte Alltagsleben ein: Seine 13-teilige Arbeit gleicht einem Mosaik. In der Mitte sitzt eine Frau mit Burka vor einer großen grünen Wand, die ein Baugerüst verhüllt. Durch die grüne Abspannung bohrt sich eine Eisenstange und zielt wie ein Kanonenrohr auf die schwarze vermummte Gestalt mit den Sehschlitzen. Das Grün, die Farbe des Islams, wirkt vor den kalten groben Gestängen wie ein überlebensgroßes Monster.
Zwischen Trägheit und Tristesse, Tschador und T-Shirt, Freitagsgebet und Facebook bewegt sich das kontrastreiche Leben in Kairo, auf das die Fotojäger Pirsch machen – neugierig auf dieses so fremde, vielschichtige Leben, ein buntes anonymes Treiben, das unter dem Lärm der achtspurigen Hochstraßen pulsiert.
Und das sich dagegen sperrt, zu viel preiszugeben. So gibt es auch nur wenige Porträts, wie das eines alten Mannes, der selbstverloren und traurig durch ein Armenviertel geht, das wie eine Sandwüste anmutet. Dieses Foto von Andreas Pein hängt zwischen den zwei Galeriefenstern, in die der Sommer hereinfällt. Vogelzwitschern und das saftige Grün des Nussbaums im Innenhof des Luisenforums gibt dieser Fotografie noch mehr Trostlosigkeit.
Fast poetisch wirkt hingegen auf dem ersten Blick eine Fotografie von Holger Biermann, die am Rande von Kairo entstand: vor einer riesigen Mauer, die vor einer Pyramide hochgezogen wurde. Sie soll das kulturhistorische Denkmal vor den Hütten schützen, die ständig illegal erbaut werden. Vor der Mauer parken von einer dicken Sandschicht bedeckte alte Autos. Auch Pferdekutschen, die auf Touristen warten. Träge und phlegmatisch zieht das Leben dahin, im gleißenden Licht der Mittagssonne und unter dem Sand, der von der Wüste herüberweht. Unwirklich wie eine Filmkulisse aus den 70er Jahren. Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen: von der verschlafenen Melancholie bis zur aufgeheizten revolutionären Stimmung des Aufbruchs.
Es ist nach der Istanbul-Ausstellung 2009 das zweite Mal, dass Angelika Euchner in ihrer Galerie mit Städteporträts aufwartet. Und neue werden folgen: über Damaskus und Ramallah. „Durch die Fotografie erfährt man mehr als durch den Tagesjournalismus, wenn man sich Zeit nimmt, genau hinzuschauen“, sagt die Galeristin. Die Kairo-Bilder bieten jedenfalls mehr als Exotik und reißerische Schnappschüsse. Sie tauchen ein in den Alltag der Straße, auf ein plötzlich sehr heißes und verheißungsvolles Pflaster. Heidi Jäger
Geöffnet noch bis 8. Juni. Zu sehen Mittwoch und Freitag von 15 bis 19 Uhr und Samstag von 12 bis 16 Uhr. Am 3. und 4. Juni bleibt die Galerie geschlossen.
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