
© Manfred Thomas
Kultur: Von der Obstpeitsche bis zu Pornographit
Designstudenten der FH Potsdam halten Bewegung in Bildern fest: Eine Ausstellung im Waschhaus Kunstraum
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Eigentlich ist die Erkenntnis nicht neu und doch überracht sie in dieser Deutlichkeit. Da hat ein Designstudent der Fachhochschule Potsdam untersucht, wie Musik das Verhalten eines Autofahrers beeinflusst. Und nun sieht man im Kunstraum Bilder, die von einem friedlich geschlossenen Kreis bis zu einem wild ausschlagenden vielzackigem Gebilde reichen. Natürlich war es klassische Musik, die der Sanftheit unterliegt und Metal-Klänge, die zu einem aggressiven Fahrstil und damit zu einem ungestümen Bildwerk führten. Rock und Radiopop reihten sich dazwischen ein. Mit freischwingenden Pendeln, die Thomas Hoffmann im Kofferraum seines Autos montierte, zeichnete er die Fliehkräfte auf, wie sie etwa beim harten Bremsen und Gas geben auftreten und ließ sie mit einem Stift auf Papier übertragen. Was wie eine ganz simple Zeichnung anmutet, ist also festgehaltene Bewegung. Diese systematische Arbeit gehört zu den durchaus sehr eindrucksvollen Experimenten von 18 Designstudenten zum Thema „Bewegungsspuren und Interventionen“, die im ersten Kooperationsprojekt mit dem Waschhaus Kunstraum ab heutigen Donnerstagabend vorgestellt werden.
Bei der gestrigen Pressevorbesichtigung herrscht noch kreatives Chaos. Die Nacht war offensichtlich lang, der Bierkasten ist leer. Sägespäne, Farbeimer und Bohrer dekorieren den Boden. Dennoch ist bereits auszumachen, dass hier unter Anleitung von Professor Klaus Keller ganz eigenwillige Spuren gelegt und verfolgt werden, um sie mit selbst entwickelten Apparaturen dingfest zu machen. Manche nehmen sich dabei sehr einfach aus, wie die Konstruktion von Max Firchau, der in seinem Projekt „Pornographit“ Bilder von Sex auf Papier bannte. Der Unterbau für diese Bewegungsspuren war denkbar einfach: ein großes Brett, weißes Papier, Pauspapier, schließlich Reiskörner und darüber eine dünne Decke. Wie unterschiedlich sich die fünf für das Experiment gewonnenen Paare auf diesem Reis-„Bett“ im Liebestakt fanden, das offenbaren ganz nüchterne Schwarz-Weiß-Schraffuren, die nun im hintersten Dachstübchen der Ausstellung zu sehen sind.
Weitaus komplizierter mutet da die Apparatur von Dima Mihnovschi an, der zwischen zwei computergesteuerten Motoren eine Plastikschlange spannte, die mit anmontierten Stiften zum akribischen Maler mutierte und eine ganz eigene Dynamik entwickelte. Bei dieser Gratwanderung zwischen Zufall und Absicht kristallisierten sich sehr ästhetische Bilder heraus, die an organische Körper erinnern.
Der Fantasie waren offensichtlich keine Grenzen gesetzt in diesem Gestaltungsgrundlagen-Kurs, der die Studenten auf ihre Studiengänge Interface-, Kommunikations- und Produktdesign vorbereitet. Sie griffen zu Gitarrensaiten, Fahrradketten, Milchschäumer, Golfbälle oder Bohrmaschinen, um Spuren sichtbar zu machen. Johanna Olm entwickelte aus einem Schneebesen und vertrockneten Zieräpfeln ihre „ Obstpeitsche“ als Malwerkzeug. Und sie schwang sich zur „Wassermalerin“ auf, indem sie Wellen „dingfest“ machte: die stürmische See bei Güstrow ebenso wie die Wellen der Havel, aufgepeitscht von großen Dampfern.
„Welche Frage ist es wert, gestellt zu werden?“ Diese Frage stand ganz oben und brachte die Studenten auf unterschiedlichste Spur – immer weiter fortgetrieben, bis sich schließlich ganz griffige Fragen herausschälten: Wie entstehen bei den Bewegungsabläufen des Kochens „Rezeptbilder“? Was passiert, wenn ein Hund seinem Lieblingsspielzeug hinterher läuft? Wie fange ich den Wind ein? Oder eben, wie wirkt sich die Wahl der Musik aufs Autofahren aus? Die Ausstellung liefert die Antworten. Am Sinnkräftigsten sicher zur heutigen Vernissage, wenn alle Studenten anwesend sind und ihre Apparaturen in Bewegung versetzen. Eine Kamera hält fest, wie die Besucher durch die Ausstellung streifen. Auch das wird grafisch aufgezeichnet: von Markus Wutzlhofer, der bereits die Passantenströme auf den Hauptbahnhöfen in Potsdam und Berlin verfolgte. Im Winter, als sich Schneeschollen und ein winkender Künstler in den Weg stellten.
Vernissage am heutigen Donnerstag, 19 Uhr, Kunstraum, Schiffbauergasse, bis 24. Juni, Mi bis So, 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei
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