Kultur: Von der röchelnden Wirklichkeit Lotto-Kunstpreis 2005: Lesung und Fotografien
Zum Glück gibt es die Lotterie. Nicht nur für die Gewinner, die ja – glaubt man Studien – relativ bald nach Gewinneinstreichung wieder auf ihr niedriges Glücksgefühllevel und meist auch wieder in die Armut zurücksinken, sondern auch für die Nutznießer der Spielsucht.
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Zum Glück gibt es die Lotterie. Nicht nur für die Gewinner, die ja – glaubt man Studien – relativ bald nach Gewinneinstreichung wieder auf ihr niedriges Glücksgefühllevel und meist auch wieder in die Armut zurücksinken, sondern auch für die Nutznießer der Spielsucht. Das waren unlängst im Potsdamer Walhalla all diejenigen, die zur Lesung der beiden Stipendiatinnen des 2005 erstmals auch für Literatur ausgelobten „Lotto Brandenburg Kunstpreises“ gekommen waren. Es gab nämlich außer den extra für die Lotto GmbH geschriebenen Erzählungen auch noch ein Buffet und ganz viel zu trinken.
Recht bald war der rot geklinkerte Raum mit dem anheimelnden Feuer im Kamin für die Anwesenden so etwas wie ein großes, gemütliches Wohnzimmer. Es fiel dabei überhaupt nicht auf, dass die an einer Wand präsentierten Fotografien der Preisträger in der Sparte Fotografie, Marei Wenzel und Mathias Marx, in ihrer Unterschiedlichkeit einen argen Kontrast bildeten. Dabei konkurrierte die inszenierte Künstlichkeit Wenzels herb mit der Eindringlichkeit von Mathias Marx. Dank der Band „Kitchen grooves“ geriet man schnell in eine mit sich und der umgebenden Welt einverstandenen Stimmung, und hieß dann die Abwechslung, die dadurch entstand, dass zunächst die Potsdamerin Grit Poppe Auszüge aus ihrer Erzählung „Wie die Würfel fallen“ las, willkommen.
Ganz anders hört sich ihre Geschichte an, wenn sie persönlich in ihrer bescheidenen Art hinter dem Mikrofon versinkt und dem von ihr Geschriebenen die eigene Stimme verleiht, als wenn der Profi-Sprecher Christian Brückner dieselbe Erzählung belebt. Brückner nämlich hat beide Texte für die CD gelesen – eine schönere Präsentation der Preise kann man sich kaum vorstellen. Der Marko bzw. Marcel Grit Poppes wirkte unentschieden und ein wenig nervös, als er das Haus, das er beim Würfeln gewonnen hat, in Besitz nimmt und sich mit einem Eindringling, den er zunächst für den Klempner hält, auseinander setzt. Der Marcel von Brückner hingegen scheint selbstsicher und eins mit sich und seiner Situation. So unterschiedlich können Stimmen Literatur interpretieren. Beiden liegt jedoch die Kraft des geschriebenen Wortes zugrunde, das manchmal so schöne Stellen produziert wie „Die Wirklichkeit stand hinter mir und röchelte.“
Dasselbe gilt für die „Schreifritzchen“-Geschichte der Preisträgerin Kathrin Schmidt, deren Stimme ebenfalls noch das Gehör der Anwesenden erreichen konnte. „Spiel, Glück, Gewinn“ hieß das Motto des Aufrufes, das die Lotto GmbH im letzten Jahr in die hiesige Literaturlandschaft geworfen hat, und die beiden Schriftstellerinnen haben den Schreibanlass vollkommen individuell und, wie das bei guter Literatur sein sollte, unerwartet inszeniert.
Während Grit Poppes Held eigentlich ein Verlierer ist, und ihm bei einem Würfelspiel der Gewinn, das Haus, eher zufällt, als dass er damit gerechnet hatte, spielt bei der Berlinerin Kathrin Schmidt der Lottogewinn von 50 000 Ostmark in der fast inzestuös-regressiven Familiengeschichte eine zwar beachtliche, aber dennoch eine Nebenrolle. Zwar werden durch die hohe Summe Anschaffungen möglich, die früher so nicht denkbar waren, aber wichtig bleibt allein das Bruder-Schwester-Verhältnis, das auch dank der entschieden merkwürdigen Sprache fast glaubwürdig und folgerichtig in die Ver-Rücktheit der Schwester führt. Ganz am Ende der kurzen und dichten Erzählung nämlich legt die eigentlich erwachsene Frau des inzwischen ebenfalls älter gewordenen Bruders, „Schreifritzchens“ Kinderbesteck neben dessen Rotkäppchenteller, singt „O Haupt voll Blut und Wunden“ und hat durch diesen „Schlappensieg“ ihre ureigene Idylle wieder hergestellt. Beide Geschichten sind skurril und stecken voll hintergründigem Humor, man kann annehmen, dass die Jury richtig entschieden hat.
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