Von Heidi Jäger: Von quietschebunt bis brecht-grau
Ausstellung über das gescheiterte Filmprojekt Mutter Courage und ihre Kinder: Eine Eifersuchtstragödie zwischen Wort und Bild
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Es mutet an wie ein Krimi, der als ungelöster Fall in die Geschichte eingegangen ist. Die Schuldigen sind nicht eindeutig auszumachen. Auch jetzt nicht, 50 Jahre später, wo die Indizien neu befragt werden. Die Zeitzeugen sind inzwischen fast alle tot und so tappen die akribisch recherchierenden „Ermittlerinnen“ Dorett Molitor und Anke Vetter weiterhin im Dunkeln, selbst wenn sie schillerndes Beweismaterial sichern konnten. Das werden die beiden Kultur- und Kunstwissenschaftlerinnen in der von ihnen kuratierten Foyerausstellung „Mutter Courage und ihre Kinder – Der Film 1955“ natürlich zeigen: ab morgen in der Eifersuchtstragödie zwischen Wort und Bild im Filmmuseum.
Sie führt zurück in die Nachkriegszeit. Bertolt Brecht vereinbarte 1949 mit der DEFA, dass sein Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“ verfilmt werden soll: eine Geschichte über die Marketenderin Anna Vierling, die am Krieg verdienen will, ihre drei Kinder an ihm verliert und doch nicht daraus lernt.
Die DEFA steht diesem Projekt allerdings kritisch gegenüber, befürchtet, dass es zu pazifistisch werden könnte. Dennoch beginnen die ersten Probeaufnahmen. Einen Monat später kommt der in Ost und West drehende Regisseur Wolfgang Staudte, der mit „Die Mörder sind unter uns“ und seinem „Untertan“ brillierte, ins Spiel. Gemeinsam mit Brecht schreibt er eine zweite Drehbuch-Fassung. Schließlich eine dritte, nach weiteren Einwänden der DEFA. Um die lange Wartezeit bis zum Drehbeginn von „Mutter Courage“ zu überbrücken, beginnt er als „Notnagel“ den „Kleinen Muck“ zu drehen, schließlich ist er laut Vertrag mit der DEFA jährlich zu einem Film verpflichtet. Erst mit Johannes R. Becher als neuen Kulturminister kommt es 1955 tatsächlich zum Drehstart. Zeigten sich die beiden Heroen Brecht und Staudte in der Vorbereitung noch sehr einig und kompromissbereit, begann fortan das bittere Tauziehen um künstlerische Pfründe.
„Beide waren Giganten, hatten Anziehungskraft und Explosionsgewalt. Der große gemeinsame Wille wurde zerfressen durch Eifersüchteleien und Geld“, sagt Anke Vetter. „Vor allem aber passten die ästhetischen Konzepte nicht zusammen“, ergänzt Dorett Molitor die Gründe des Scheiterns des Prestigeprojektes der DEFA, das international für Furore sorgen sollte. „Ein Film baut auf Einfühlung, Großaufnahmen, Empathie. Brecht arbeitete am Theater indes mit Distanz. Er wollte wahrscheinlich nur einen ,Abfilm’ seiner Theaterinszenierung.“ Doch damit setzte er bei Staudte auf das falsche Pferd.
Die DEFA hatte dem Theatergott Brecht indes einen Vertrag an die Hand gegeben, der ein klarer Affront gegen Staudte sein musste. Wie in der Ausstellung nachzulesen ist, durfte Brecht überall mit hineinreden: in Fragen der Besetzung, des Drehbuchs, selbst der Technik. Während Staudte für international bekannte Darsteller plädierte, wollte Brecht sein BE-Ensemble unterbringen. Allen voran Helene Weigel als Mutter Courage. Doch während für die Weigel die geforderte Gage von 60 000 DM festgeschrieben wurde, gab es über die Drehzeit keinerlei Vereinbarung. Helene Weigel, die abends am BE auf der Bühne stand und zudem dort Intendantin war, konnte nur wenige Stunden am Drehort sein. Und Simone Signoret, die Staudte als Yvette durchgesetzt hatte, stand nur fünf Wochen Drehzeit zur Verfügung, bevor sie wieder nach Frankreich zurück musste. Am Ende weigert sich Staudte, weiter mit Helene Weigel zu arbeiten und beschimpfte sie mit unsanften Worten.
Es kam so weit, dass sich Bertolt Brecht bei Walter Ulbricht einfand und tatsächlich einer Neubesetzung zustimmte. Inwieweit er es damit ehrlich meinte, ist wie so vieles in diesem filmischen Debakel nicht überliefert. Jedenfalls lehnte Therese Giehse, eine gute Freundin Brechts, ab, für die Weigel einzuspringen. Und die Schauspielerin Berta Drews vom Schlosspark Theater durfte nicht, da der Kultursenator Westberlins dagegen war. Schließlich gab es die Hallstein- Doktrin, die eine Zusammenarbeit mit der DDR verhinderte. Auch das Filmstudio Terra aus Paris hatte sich zuvor gegen eine Koproduktion mit der DEFA ausgesprochen.
Dennoch: 800 Meter wurden insgesamt gedreht, 20 bis 30 Minuten Film. Doch das Material ist verschollen. Was bleibt sind viele Dokumente, emotional aufgeladene, sich teils widersprechende Erinnerungsberichte, wie von Simone Signoret, Berta Drews, DEFA-Chef Kurt Maetzig oder Wolfgang Staudte. Zudem herrliche Fotos vom Set, so von einem sichtlich in die Signoret verliebten Staudte.
Und die vielen Szenenbilder und Kostümentwürfe, bei denen sich wiederum die Geister schieden. Die DEFA hatte Oskar Pietsch als Szenenbildner beauftragt, Staudte zeitgleich den Franzosen Max Douy, den Brecht wiederum ablehnte. Wahrscheinlich wussten die beiden Szenenbildner nicht mal, dass sie parallel arbeiteten. Aber auch da sind die Erinnerungen schwammig. In der Ausstellung jedenfalls hängen die unterschiedlichen Entwürfe zu den jeweils gleichen Szenen übereinander, ebenso die Figurinen der Kostümbildner.
Auch davon gab es zwei: der von Staudte beauftragte Walter Schulze-Mittendorf war Brecht zu opernhaft, er setzte den hauseigenen Heinrich Kilger vom BE dagegen. Und so sind die Entwürfe von quietschebunt bis brecht-grau. Welche der rund 100 Kostümentwürfe wirklich geschneidert wurde, kann man nur erahnen. Auffindbar ist kein einziges. Aber zumindest auf Papier wurde der Film durchgezeichnet und wird in der Ausstellung in 13 Rahmen erzählt.
1,4 Millionen DM sind in das gescheiterte Projekt hineingeflossen. „Der Film starb, obwohl das Zentralkomitee und das Politbüro der SED, ja selbst Walter Ulbricht alles versuchten, ihn zu retten“, so die Kuratorinnen. Johannes R. Becher habe sogar noch eine Kommission eingesetzt, um die Schuldfrage zu klären. Ergebnislos. Noch einen Monat vor seinem Tod 1956 schrieb der sichtlich bewegte Brecht an Alexander Abusch und Albert Wilkening, ihm zu sagen, dass er unschuldig an dem Schlamassel gewesen sei. Er starb, ohne eine Antwort erhalten zu haben.
Erst die Brecht-Eleven Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth realisierten 1959/60 eine Dokumentarverfilmung nach der Aufführung des Berliner Ensembles: natürlich mit Helene Weigel als Mutter Courage. Dieser Film wird zur morgigen Ausstellungseröffnung zu sehen sein. Zudem läuft innerhalb der Ausstellung der Dokfilm „Kein Untertan“ von Malte Ludin über Wolfgang Staudte sowie ein Inteview mit Manfred Wekwerth, den Brecht einst als „Spion“ zu den Dreharbeiten Staudtes geschickt hatte.
Trotz der sehenswerten Szenenbild- und Kostümentwürfe ist die kleine Schau eher leselastig: Eine Herausforderung für Filmfreaks, die sich gern in komplexe Geschichten hinein vertiefen und sich vielleicht selbst als Kriminalist aufschwingen wollen. Zu ermitteln gibt es noch genug.
Eröffnung morgen 19.30 Uhr im Filmmuseum. Um 20.30 Uhr: „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Wekwerth/Palitzsch.
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