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Kultur: Von tiefer Frömmigkeit

Mimi Sheffer und der Vocalkreis mit synagogalen Gesängen zum ersten Advent in der Friedenskirche

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Die traditionelle Frage zum Advent „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn’ ich dir“ wurde am Sonntagnachmittag in der Friedenskirche Sanssouci musikalisch nicht gestellt. Dafür ertönte klangvoll die Aufforderung „Auf, mein Freund, der Braut entgegen“ durch den sakralen Raum. Mit dem Gebet zur Begrüßung des Sabbath wurde das Konzert des Vocalkreises Potsdam eröffnet. Louis Lewandowski schrieb nach einem Text von Schlomo Alkabez aus dem 16. Jahrhundert die Musik. Der Lewandowski-Auftakt war sicherlich eine Hommage an den jüdischen Kantor und Komponisten, der die synagogale Musik des 19. Jahrhunderts entscheidend veränderte und prägte. Denn eine Orgel oder gar ein gemischter Chor hatten zuvor keinen Platz in der Synagoge. Orthodoxe Juden lehnen es heute noch ab, dass Frauen im Gottesdienst singen. Seit Lewandowski erklingen Kompositionen, in denen sich die Traditionen der abendländischen Kunstmusik und der jüdischen Kultur begegnen.

Auch die Synagogalmusik sollte nach dem Willen der Nationalsozialisten nie mehr erklingen. Notenmaterial wurde im „Dritten Reich“ vernichtet oder verbrannte mit den Synagogen. Doch diese Musik lebt. Christlich geprägte Chöre singen sie genauso begeistert wie Sängerinnen und Sänger in den Synagogen.

In Potsdam haben Werke jüdischer Komponisten einen festen Platz im Konzertrepertoire der Ensembles vom Musik an der Erlöserkirche e.V. und dessen künstlerischem Leiter Ud Joffe erhalten. Doch auch der Vocalkreis Potsdam wendet sich wiederholt der Synagogalmusik zu. Gestern sang er unter dem Dirigat seines Interim-Leiters Matthias Jacob in der sehr gut besuchten Friedenskirche Sanssouci. Der renommierte Chor der Landeshauptstadt versicherte sich beim Einstudieren und Konzertieren der temperamentvollen Mitwirkung der israelischen Kantorin und Sängerin Mimi Sheffer. Die heute in Berlin Lebende ist seit 2013 künstlerische Leiterin des Vereins KOL – „Jüdische Musik beleben und erleben“. In Workshops führt sie in die Geschichte, in Quellen und in die Besonderheiten der Synagogalmusik ein. Außerdem steht auch die richtige Aussprache des Hebräischen auf dem Programm.

Auch der Workshop Mimi Sheffers für den Vocalkreis hat sich gelohnt. Man konnte es im Konzert hören. Er hat unter dem Dirigat von Matthias Jacob die emotionale Kraft synagogaler Klänge wunderbar zur Geltung kommen lassen. Die Vertonung des 100. Psalms „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ durch Felix Mendelssohn Bartholdy, dem bedeutenden Komponisten der Romantik mit jüdischen Wurzeln, ist dem Konzertbesucher weitgehend vertraut, zählt sie doch zum Kanon des christlichen Chorgesang. Die A-cappella-Motette schrieb der Komponist für die Synagoge in Hamburg. Zum Vergleich erklang der Psalm nochmals, nun in der Fassung von Jaques Fromental Halévy, einem Zeitgenossen Mendelssohns, der sich vor allem mit Opern in seinem Heimatland Frankreich einem Namen machte. Ist Mendelssohns Motette ein Meisterwerk an chorischer Klarheit, so kann die Vertonung von Halevy das Opernhafte nicht verleugnen. Hierbei konnte die Sängerin Mimi Sheffer, die ansonsten vor allem als Vorsängerin fungierte, ihre gesanglichen Künste trefflich einsetzen, indem sie ihren Sopran ausdrucksstark in vielen Nuancen zum Besten gab. Mirian Kasymaliev begleitete an der Woehl-Orgel nicht nur den Halévy-Psalm, sondern auch alle anderen Kompositionen mit großer Umsicht. Zudem gelangen ihm auf dem Instrument aparte Farbwechsel. Das Orgelsolo, ein Prélude für den Sabbat von Herman Berlinski, gestaltete Kasymaliev mit großer Ruhe und Nachdenklichkeit.

Weitere Wechselgesänge zwischen Vorsängerin und Chor gab es in Kompositionen von Max Janowski, Kurt Weill, Salomon Sulzer und David Schiff. Wenn der Zuhörer auf musikalische Überraschungen wartete, wurde er vielleicht enttäuscht. Die in der Friedenskirche gebotenen synagogalen Gesänge konnten ihren romantischen beziehungsweise spätromantischen Gestus nicht verleugnen. Doch sind die demutsvolle Anbetung, die bittere Klage, die tänzerische Freude und der umtriebige Jubel von tiefer Frömmigkeit geprägt. Miriam Sheffer und der Vocalkreis unter dem Dirigat von Matthias Jacob haben klangschöne und tief inspirierende Interpretationen dargeboten, die von den Zuhörern dankbar aufgenommen wurden. Abschließend stand der Segen, den Salomon Sulzer vertonte, auf dem Programm – eine friedlich sanfte Stimmung verbreitend. Klaus Büstrin

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