Kultur: Von wegen finsteres Mittelalter
Der Historiker Joachim Volkmann sprach in der „arche“ begeistert über die Zeit zwischen 500 und 1500
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Immer wenn mal wieder schöne neue Zeiten anbrechen sollen, wird die Vergangenheit gern verdunkelt oder verleugnet. Die in England geborene Aufklärung beipielsweise erklärte kurzerhand gleich die ganze Zeit zwischen 500 und 1500 zum „finsteren Mittelalter“. Als geflügeltes Wort ist dies heute noch in aller Munde, doch sind sich die Mediävisten inzwischen einig: Zahnlose, verhungernde Parias in Lumpen auf stinkenden Straßen, Ratten, die über leere Esstische huschen, sind genau so eine spätere Erfindung, wie manch Folterinstrument, welche das 19. Jahrhundert dem Mittelalter andichtete.
Der Historiker Joachim Volkmann aus Schönenberg bei Bonn nannte dieses Jahrtausend beim dienstäglichen „arche“-Vortrag eine großartige, glanzvolle Zeit. Das war zuerst einmal theologisch gedacht, denn nach dem Fall Roms um 500 blieb allein die Kirche als Kulturträger übrig. Man wusste sich, und alles Werk, durchaus im Lichte der Sonne, dem „Glanz Gottes aus dem Paradies“. Die Kathedralen, in Deutschland und Frankreich, durchweg Marienkirchen, so Volkmann, spielten in ihrem Fensterwerk ganz wundersam mit ihm. Sie waren so gebaut, dass genau am 15. August das Licht von Osten einfiel, dem Datum Mariae Himmelfahrt, zugleich der höchste Stand des Tierkreiszeichens Schütze.
Solche und andere intellektuelle Höchstleistungen meinte der bekennende Katholik Volkmann, wenn er jene „tolle Zeit“ in den höchsten Tönen pries: Schon die ersten Klöster waren in ihrer Struktur perfekt durchdachte Gemeinwesen mit Kirche, Schule, Hospital und mit Kräutergarten. Volkmann ging es weder um die große Politik damals, noch um die Scholastik, einer Vorläuferin im logischen Denken nach Aristoteles. Er ließ sich auch nicht auf eine Polemik mit der sich selbst verdunkelnden Aufklärung ein. Lieber erzählte Volkmann aufgrund „fundierter Forschungsergebnisse“ von wirtschaftlichem Aufschwung, massiver Zunahme der Bevölkerung, von etlichen Stadtgründungen und einer Geldtheorie, die heute wieder in Mode kommt.
Frauen sollen damals für den „Gottesfrieden“ in der Männerwelt gesorgt haben, sie waren geachtet, viele arbeiteten als selbständige Meisterinnen. „Die Kirche hat unser Mittelalter aufgebaut“, schwärmte der Redner. Das war die fröhliche Stimme einer geschichtslebendigen Gegenwart. Seine kulturhistorische Plauderei verschwieg aber auch Sittenlosigkeit und hohe Kindersterblichkeit unter den schlauen Vorfahren nicht. „Wer der entging, konnte steinalt werden“. Und wie all seine Kollegen suchte auch Volkmann das historische Kontinuum. Das klang dann so: „Der Mensch ist heute, was er damals war.“ Oder, nach den lebhaften Schilderungen mittelalterlicher Errungenschaften: „Auf diesen Schultern stehen wir!“
Woran lag es dann aber, wenn Köln um 1800 so viele Einwohner hatte, wie schon im Jahre 1300? Die mittelalterliche Hochkultur Europas fiel mit einer „Warmzeit“ der Erde zusammen. Es gab zwei bis drei Ernten im Jahr, am Bodensee pflückte man im Februar reife Kirschen. Viel Arbeit, viel Essen. Ein Pfund Brot am Tag gab das Maß an Kalorien. Am Ende der Warmzeit war es dann auch mit dem Mittelalter vorbei. Syphilis und Pest regierten. Die Dunkelheit zog heran.
Auch Potsdamer Historiker hörten am Dienstag die stille Botschaft, dass es bereits vor der Aufklärung richtig gute Zeiten gab. Keine finsteren jedenfalls. Dieser Abend endete dann mit Volkmanns schönem Satz: „Haben wir nicht tolle Vorfahren?!“ Gerold Paul
Gerold Paul
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