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Kultur: Wandelbar

Das Ensemble La Chimera im Raffaelsaal

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Klangbrücken über die Jahrhunderte bis ins Heute zu schlagen, sind so neu eigentlich nicht. Da gab und gibt es immer wieder faszinierende Schnittmengenversuche zwischen spanischem Barock und südamerikanischer Folklore, zwischen Renaissanceklängen und Minimal Music zu erleben. Als eine experimentierfreudige, jedwede Grenzen überschreitende Formation erweist sich auch das mit Künstlern aus Norwegen, Italien, Frankreich und Argentinien bunt gemixte Ensemble La Chimera. Bei den Musikfestspielen präsentierte es am Mittwoch im Raffaelsaal der Orangerie Sanssouci erstmals ihre neueste Produktion rund um die skandinavische Liedersammlung „Piæ Cantiones“ aus dem 16. Jahrhundert. Fast naht- und bruchlos fließen dabei fromme Kirchen- und Schulgesänge der Altvorderen mit skandinavischem Volksmusikerbe ineinander, trifft die uralte Hardangerfiedel auf ein modernes Sopransaxophon.

Welche Wehre der Klangreservoire werden gerade geöffnet, welche geschlossen? Wer schöpft aus wem und wohin? Um dieser metamorphosen Unwäg- und Wandelbarkeit das prägende Markenzeichen zu geben, erwählte die in variabler Besetzung auftretende Truppe sich die Chimäre, jenes feuerschnaubende Fabelwesen aus der griechischen Mythologie: vorn Löwe, in der Mitte Ziege und hinten Drache. Ein fantastisches Gebilde also, passend zum Gebotenen. Mit den zumeist einstimmigen Gesängen sollten Schüler und Studiosi wichtige religiöse Lehren und moralische Fingerzeige für eine sittsame Lebensweise übermittelt bekommen. Ausgiebig und oft wird Jesu Geburt beschrieben, der Jungfrau Maria lobgesungen, Dankgebete über des Tages Arbeit und das täglich Brot angestimmt („Ned i vester soli glader“), die im Frühling zu neuem Leben erwachende Natur beschrieben („Tempus adest floridum“). Wobei letzteres Unterfangen im Geiste der Carmina Burana und ihrer Orffschen Rhythmik und Schlichtheit erfolgt.

Das alles vollzieht sich in weitgehend pentatonischen Klangräumen, was allerdings auf Dauer zu Ermüdungserscheinungen des Hörers führen könnte. Davor bewahren die archaischen Klänge der gleichsam muntermachenden Hardangerfiedel. Ihre spieltechnischen Erfordernisse – ein flacher, fast waagerechter Steg ermöglicht es, bis zu drei Saiten gleichzeitig zu streichen – beherrscht Elisabeth Gaver aus dem Effeff. Sie begleitet manchen schlichten Solo- oder kunstvollen Doppelgesang zweiter Soprane (Gro Siri Ognøy Johansen, Berit Opheim) voller melancholischer, temperamentvoller oder witziger Bravour. Fast unmerklich mischt sich meist ein introvertiertes Lautensolo des künstlerischen Leiters Eduardo Egüez hinzu, gefolgt von Gambenschlichtheit (Sabina Colonna Preti). Man meint, mitunter verloren an einem einsamen See in verlassener Gegend zu sein. Doch plötzlich werden solche introvertierten Stimmungen durch die synkopierte Verve und durchdringende Direktheit des Sopransaxophons aufgemischt. Der Kontrabass (Leonardo Terrugio) sorgt für eine kraftvolle gezupfte und gestrichene Grundierung, während Schlagwerker Florent Tisseyre das Ganze mit allerlei gerüttelten und geschüttelten Geräuschen garniert. Die Feier der Geburt Jesu („Personent hodie“) vereint alle Mitwirkenden bis an die Grenze zur Klangorgie. Peter Buske

Peter Buske

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