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Von Heidi Jäger: Was ist normal?

Als Wissenschaftler in der Psychiatrie: „Der Fall Janke“ wird morgen am HOT uraufgeführt

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Die Diagnose brach ihm die Flügel. Karl Hans Janke wollte mit seinen Erfindungen hoch hinaus: fliegen durch das Universum. Doch der Stempel Schizophrenie drückte den Wissenschaftler zu Boden. Eingesperrt in den vier Wänden der Psychiatrischen Klinik Hubertusburg in der Nähe von Leipzig konnte er nur in seiner Fantasie auf Reisen gehen. Wäre er ein zweiter Wernher von Braun geworden, hätte ihn das Leben woanders hinverschlagen?

Adriana Altaras kann nur mutmaßen. Als sich die Regisseurin in das Material dieses 1988 verstorbenen, vielleicht verkannten Genies hinein begab, wurde sie von der Fülle an Konstruktionszeichnungen, Briefen und Biografischem fast erschlagen. Sie ließ sich berühren von dem Ort, wo Janke 40 Jahre lang mit acht Mitpatienten ein Zimmer teilte. Was war das für ein Mann, der mit 39 noch bei seinen Eltern wohnte und nach deren Tod 1948 verwahrloste? Janke war Einzelkind, studierte drei Semester Medizin, war jedoch zu weich, um zu sezieren. Beim Militär bekam er eine Nervenschwäche, die sich nach dem Tod der Eltern steigerte. Um sich allein durchzuschlagen, baute er Spielzeug, das er verkaufte. Als es kein Material mehr gab, schrieb er auf einem Plakat, dass Hitler alles Material für seine Kanonen bräuchte. Da war Hitler schon lange tot. „Der Mann war ein Sensibelchen und hatte durchaus eine Macke“, sagt die 1960 in Zagreb geborene Theaterfrau Adriana Altaras unverblümt. Doch wer könne schon sagen, was normal sei. „Es gibt ganz viele Wahrheiten. Das habe ich gemerkt, als ich Interviews für die Shoa Foundation von Steven Spielberg führte“, so die jüdische Regisseurin, bekannt auch als Schauspielerin aus Filmen wie „Alles auf Zucker!“ und „Mein Führer“ von Dany Levy. Wie bei einer Familienaufstellung schuf die Künstlerin, die seit 1967 in Deutschland lebt, mit sieben Schauspielern des Hans Otto Theaters eine Figurenkonstellation, in denen sich der kühne Erfinder spiegelt. „Ich habe aber kein Psychogramm erstellt, eher einen Abend im Stile von Pina Bausch, eine tänzerische Groteske über die wahnsinnige Kreativität und Fantasie.“

Sie hätte auch ein Solo über ein Opfer in der DDR inszenieren können. „Aber das wäre ein harter Abend geworden. Ich will unterhalten, auch mit unangenehmen politischen Themen.“ Nur zu sagen, die DDR sei ein Gefängnis, wäre ihr zu billig gewesen. Sie möchte, dass die Zuschauer lachen können, auch wenn es vielleicht manchem im Hals stecken bleibt. Außerdem sieht sie die Premiere am morgigen Freitag im Zusammenhang mit dem darauf folgenden Abend, an dem Opfer der Staatssicherheit, wie Stephan Krawczyk und Vera Lengsfeld, persönlich zu Worte kommen.

Karl Hans Janke habe in einer Anstalt und in der DDR gelebt, war also doppelt eingeschlossen. „Aber ich glaube, dass ihm im Westen Ähnliches hätte passieren können.“ Dennoch sei es ein ostdeutsches Stück geworden, auf das gerade die Schauspieler aus dem Osten ganz genau geguckt hätten. „Und ich habe ihre Entscheidungen mitgetragen.“

Für die temperamentvolle Frau, die an der Staatsoper mit hyperaktiven Kindern und an Alzheimer Erkrankten arbeitet, gibt es nichts Schöneres, als kreativ in gesellschaftliche Themen „herumzuwühlen“. Entstanden sei jetzt – ähnlich wie bei „Julia Timoschenko“, das sie 2006 am HOT inszenierte, ein Leben als Collage, eine Art Passionsweg. „Wir spielen mit der Realität, fragen, wie ist es, in sich gefangen zu sein, ungerecht behandelt zu werden. Die Diagnose Schizophrenie hat Janke kaputt gemacht.“ Ob er tatsächlich krank gewesen sei, darüber möchte sie nicht entscheiden. „Heute würde er vielleicht Tabletten kriegen und bei der Nasa arbeiten. Auch Einstein soll verhaltensgestört gewesen sein. Wer also bestimmt, wie man sein muss?“, so Adriana Altaras.

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