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„Maskenmann/Gesicht zeigen“ von Wolfgang Mattheuer ist auf der Terrasse vor dem Minsk zu sehen.

© Ottmar Winter

Weiße Flügel über dunklem Land: Das Potsdamer Kunsthaus Minsk eröffnet

Prinzip Dialog: Das Museum Minsk in Potsdam zeigt zur Eröffnung Gemälde von Wolfgang Mattheuer und Fotografien von Stan Douglas zum Thema Landschaft.

Draußen, auf der Terrasse vor Potsdams neuestem Museum, wacht der „Maskenmann“. Eine lebensgroße Bronze von Wolfgang Mattheuer, entstanden 1983. Ein Mann im Anzug, mit einer Hand verbirgt er sein Gesicht halb hinter einer Eselsmaske. Die andere hat er zur Faust geballt. Die Maske schaut zur Seite, aber der Mensch dahinter guckt, grimmig, geradeaus: Über die neu angelegten Terrassen am Brauhausberg, wo der frische Rasen von Flatterband geschützt wird, vorbei am Schwimmbad Blu, das die Aussicht versaut. Vielleicht in gedachter Luftlinie hinüber zum Alten Markt. Dort, im Hof des Museums Barberini, darf man sich das Gegenüber des Maskenmannes denken. Dort steht Mattheuers „Jahrhundertschritt“.

Das Barberini bekommt einen jüngeren, moderneren Spielkameraden

Beide Museen, das Barberini und das, vor dem im Moment noch Flatterband flattert, hat Hasso Plattner der Stadt Potsdam geschenkt. Im Barberini sind seit 2017 neben den französischen Impressionisten aus Plattners Sammlung wechselnde Ausstellungen zu Publikumsmagneten wie Rembrandt oder van Gogh zu sehen, dort ist man erfolgsverwöhnt. „Monet geht immer“, sagt Hasso Plattner am Rande der Pressebesichtigung, und dass das Minsk mutiger sein werde. Im neuen Kunsthaus „Das Minsk“ soll es Kunst geben, die weniger mehrheitstauglich ist: Kunst aus der DDR und zeitgenössische Positionen. Das etablierte Museum Barberini bekommt einen jüngeren, moderneren Spielkameraden. Hier soll nicht nur geglänzt, sondern auch ein bisschen getobt werden.

Auch architektonisch ist mit dem Kunsthaus Minsk ein Gegenpol zum Museum am Alten Markt entstanden. Das Barberini ist die gefällige Rekonstruktion eines Barockbaus aus den 1770er Jahren, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war das Original weggebombt worden. Am Brauhausberg hingegen lebt jetzt ein Stück DDR-Moderne wieder auf: Erbaut als Terrassenrestaurant zwischen 1971 und 1977 nach Plänen des Architekten Karl-Heinz Birkholz, war das Minsk bis kurz nach 1989 genutzt worden, dann verfiel es. Die Stadt konnte sich nicht zu einer Sanierung durchringen, es gammelte jahrelang dem Abriss entgegen.

Ort für DDR-Kunst, Ort der Befriedung?

Bis Plattner sich 2019 erbarmte und das Gelände kaufte, um dort zu realisieren, was zuvor bereits mal gescheitert war: einen Ort für die DDR-Kunstwerke aus seiner Sammlung. 2012 hatte es Pläne für mehrere Standorte in Potsdam gegeben, unter anderem am Hotel Mercure, ein 17-geschossiger DDR-Bau im Stadtzentrum. Es hagelte Protest: Viele Potsdamer:innen fühlten Orte ihrer Erinnerung bedroht. Plattner zog sich zurück. Mit dem Minsk soll jetzt also nicht nur die DDR-Kunst aus seiner Sammlung eine Heimat bekommen. Es sollen auch jene befriedet werden, die die Orte ihrer eigenen Vergangenheit im Potsdamer Stadtbild verschwinden sehen – oft zugunsten von wiederauferstehenden Barockbauten.

Das Kunsthaus Minsk soll ein Ort der Begegnung werden.

Gründungsdirektorin Paola Malavassi

„Das Kunsthaus Minsk soll ein Ort der Begegnung werden“, so sagt es Paola Malavassi, Gründungsdirektorin des Museums. Das gilt für die Stadtgesellschaft, aber auch als kuratorisches Prinzip. Gegenwart und Vergangenheit, alt und neu, Malerei und Fotografie, alles soll sich mischen. Wie das aussehen kann, zeigt das Doppel zum Auftakt: der magische Realist Wolfgang Mattheuer (1927-2004) trifft auf den Fotografen Stan Douglas (Jahrgang 1960). Werke von beiden befinden sich in Plattners Sammlung und beide haben sich intensiv mit Landschaften beschäftigt. Ironischer Twist: Für den Lokalkolorit sorgt nicht der DDR-Künstler Mattheuer, sondern der Kanadier Stan Douglas. Er war in den frühen 90er Jahren dank eines Stipendiums in Potsdam unterwegs. Seine Motive: Schrebergärten.

Im Minsk ist unter anderem Stan Douglas’ Ausstellung „Potsdamer Schrebergärten“ zu erleben.  
Im Minsk ist unter anderem Stan Douglas’ Ausstellung „Potsdamer Schrebergärten“ zu erleben.  

© Ottmar Winter

Auch Mattheuer hat diese kleinste Zelle bürgerlichen Glücks immer wieder thematisiert. „Der Nachbar, der will fliegen“, heißt ein großformatiges Gemälde von 1984. Bei ihm hat sich die Mattheuer-Schau ihren Titel geborgt. Eine sommersaftige Kleingartenidylle ist zu sehen, in kleinen, gleichförmigen Häusern hocken Menschen und spielen Karten. Blumen sprießen, darüber ein rosafarbener Himmel. Ein Zaun durchtrennt dieses Idyll, und ein Mann im Turnhemd, getragen von riesigen weißen Flügeln, schwebt davon. Es ist eines von vielen Ikarus-Motiven in dieser Schau. Die politische Komponente ist nicht zu übersehen: Da will einer „rüber“, auf die andere Seite des Gartenzauns. Der Sonne entgegen. Die anderen recken ihm die Arme nach.

Mäzen Hasso Plattner sitzt neben Tochter Stefanie Plattner und Direktorin Paola Malavassi.
Mäzen Hasso Plattner sitzt neben Tochter Stefanie Plattner und Direktorin Paola Malavassi.

© Ottmar Winter

Diese Mischung aus poetischer, manchmal an Kitsch nur knapp vorbeischrammender Atmosphäre und unheilvoller Vorahnung findet sich auf vielen der Mattheuer-Bilder. Idyllisch ist das oft nur auf den ersten Blick. Oft sind die Schatten stärker, und noch im saftigsten Grün versteckt sich ein Tierkopf, der aussieht wie Totholz. Einige Landschaften sind von dunklen Farbtönen beherrscht, Licht ist nur ein schmaler Streifen am Horizont, wird nahezu erdrückt zwischen bleischweren Wolkenmassen schwarzer Erdmasse.

Hasso Plattner auf der charakteristischen Wendeltreppe im Minsk.
Hasso Plattner auf der charakteristischen Wendeltreppe im Minsk.

© Ottmar Winter

Nicht zufällig erinnern diese Bilder an Caspar David Friedrich. Schon 1974 waren Mattheuers Landschaften im Albertinum in Dresden parallel zu einer großen Retrospektive zu Ehren des 200. Geburtstags von Friedrich gezeigt worden. Das Gemälde „Oh Caspar David“ von 1975 nimmt die romantische Tradition auf und sieht sich wie eine betrübte Antwort auf Friedrichs „Mönch am Meer“: Hinter einem sandigen Ufer tut sich kein Meer auf, sondern gewellte, braune Erde. Eine Industrielandschaft, vielleicht ein Braunkohletagebau, die die Spuren des Menschen zeigt, in der der Mensch selbst keinen Platz mehr hat. Der Himmel ist dunstig, wie versmogt. Eine unverhohlene Anklage. Die Bilder Mattheuers sind also bestenfalls auf den ersten Blick gefällig. Es tun sich, siehe sterbende Natur, Abgründe auf, die auch heute noch klaffen.

Mattheuer zeigt ein Land vor dem Kollaps, Douglas eins danach

Während Wolfgang Mattheuer im Erdgeschoss Platz findet, die verschiebbaren Wände mintgrün gestrichen, geht Stan Douglas in die Beletage. Seine „Potsdamer Schrebergärten“ aus den Jahren 1994/95 hängen hier mit Blick ins Stadtgeschehen: Die Fenster geben die Aussicht frei auf Hauptbahnhof, Terrassen und beginnendes Herbstgelb in den Bäumen. Auch auf Douglas’ Fotos herrscht Herbst. Wie unten bei Mattheuer schieben sich Gegenstände in die Idylle, die sie verlassen und bedroht aussehen lassen. Strommasten, Leitern, bröckelnde Hütten. Keine Menschen.

Mattheuer porträtiert ein Land vor dem Kollaps, Douglas zeigt es danach. Die Zeichen der Vergänglichkeit ähneln sich. Und Douglas fügt dem eine weitere Ebene hinzu: In Ausschnitten ist sein Film „Der Sandmann“ zu sehen, 1994 gedreht in den Dok-Film-Studios der Defa, die damals gerade aufgelöst worden war. Mit dem „Sandmännchen“ hat das nichts zu tun, sondern basiert auf der Schauer-Erzählung von E.T.A. Hoffmann. Und doch geht es auch hier um ein Erinnern ohne Nostalgie, ein Pendeln zwischen Damals und Heute. Darum, wie viel Vergangenheit man sieht, wenn man, wie Mattheuers Mann auf der Terrasse, an der eigenen Maske vorbei in die Gegenwart schaut.

Wolfgang Mattheuer: „Der Nachbar, der will fliegen“, Stand Douglas: „Potsdamer Schrebergärten“, 24. September bis 15. Januar 2023

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