
© Volker Schwenck (o.), Redwan Bezar
Kultur: Weißer Schleier in Ruinen
Der ARD-Korrespondent Volker Schwenk porträtiert den neuen Alltag in Kobane
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Schüchtern und mit einem leichten Grinsen schaut das kleine Mädchen in die Kamera. Die warmen Sonnenstrahlen lassen ihren buntgestreiften Pulli hell aufleuchten. Gleich läuft sie davon und spielt wieder mit den anderen Kindern – mitten in zerstörten Gebäuden, mit tennisballgroßen Einschusslöchern in den Fassaden, zwischen Schutt, Schmutz und Geröll. Denn das Mädchen wohnt nicht in einer gewöhnlichen Stadt, nicht mehr. Es lebt in Kobane.
Die Stadt im Norden Syriens war monatelang Schauplatz schwerer blutiger Kämpfe zwischen Kurden und syrischen Rebellen auf der einen und Anhängern des Islamischen Staates auf der anderen Seite. Mit internationaler Unterstützung konnte der IS Anfang des letzten Jahres erfolgreich zurückgeschlagen werden. Seit März 2015 hat der Wiederaufbau begonnen, mit der Hilfe zahlreicher NGOs. Allmählich kehren die Menschen wieder zurück, doch noch immer liegt der größte Teil der fast völlig zerbombten Stadt in Trümmern.
Der ARD-Korrespondent Volker Schwenck, dem die Türkei erst vor zehn Tagen die Einreise verweigert hat – der Fall machte überall Schlagzeilen –, hat während Dreharbeiten vor Ort die Ruinen und den Alltag in Kobane fotografiert. Zusammen mit Fotos des kurdischen Journalisten Redwan Bezar und des kurdischen Arztes Rassoul Faki sind sie aktuell in der Potsdamer ae-Galerie von Angelika Euchner zu sehen. Die Ausstellung ist der sechste Teil einer Reihe von Städteporträts des Nahen und Mittleren Ostens, die Angelika Euchner hier in ihren Räumen in der Charlottenstraße zeigt.
Die bewegenden Privataufnahmen von Volker Schwenck offenbaren das Ausmaß der Zerstörung in der traumatisierten Stadt. Die zerschmetterten Gebäude zeugen auf bizarre Weise noch immer vom Leben vor dem Krieg: etwa die zerbombte Musikschule, deren von Kugeln zerschossene Wand das Gemälde eines musizierendes Mädchen ziert, eine ehemalige Pizzeria, in der die nackten Fensterrahmen den Blick auf die zerschlagene Inneneinrichtung geben oder die zwischen Schutt und Asche wild durcheinander liegenden Töpfe und Behältnisse einer Küche. Sie machen plastisch, wie schnell die Bewohner fliehen mussten während der Kämpfe.
Bewaffnete Anhänger der Miliz, die über die Stadt wacht, und selbst gebaute Panzerfahrzeuge lassen erahnen, dass die Sicherheit immer noch in Gefahr ist. Doch zwischen den Trümmern scheint sich auch langsam wieder das alltägliche Leben zu regen. Eine provisorische Bäckerei wurde eröffnet, in der Dutzende Fladenbrote auf Kunden warten. Kinder spielen scheinbar unbekümmert in den Ruinen. Die Wäsche hängt zum Trocknen zwischen den kaputten Fassaden. Mit Hoffnung blicken die Menschen von Kobane in die Zukunft.
So auch der Journalist Redwan Bezar und seine Frau Viyan Eyub. Im letzten Jahr entschieden sich die beiden, trotz der Zerstörung, in ihrer geliebten Heimatstadt zu heiraten. Auf den Hochzeitsfotos ist die wunderschöne Braut in ihrem bauschigen weißen Kleid zu sehen, geschmückt mit goldenem Gliederschmuck und einem im Haar festgesteckten filigranen Schleier. Sie hält die Hand ihres glücklich strahlenden Bräutigams. Im Hintergrund das zerstörte Kobane. Die Bilder, die unter anderem im „Stern“ abgedruckt wurden, sind als mutiges Statement gegen Krieg und Zerstörung, gegen Gewalt, Hass und den IS und für die Hoffnung auf einen Neubeginn zu verstehen. Denn ihren Optimismus konnten die Bomben Gott sei Dank nicht zerstören. Sarah Stoffers
Die Fotografien sind noch bis zum 7. Mai in der ae-Galerie, Charlottenstraße 13, zu sehen. Zur Finissage am Samstag wird um 15 Uhr der Kurzfilm „Schicksal der Kurden“ gezeigt.
Sarah Stoffers
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