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Kultur: Weit verästelt

Eine Fast-Lesung über Hugenottische Lebensbilder

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Dass die Refugies in Berlin und Brandenburg die beliebtesten Migranten waren, deren Assimilation besonders glücklich gelang, zeigt sich an dem ungebrochenen Interesse an ihrer Geschichte. Noch nach 300 Jahren finden sich in der Sprache, in der Kultur und an verschiedenen Orten unübersehbare Spuren der französischen Einwanderer. In der vom 30jährigen Krieg geschundenen Mark Brandenburg waren die wohlhabenden und handwerklich gut ausgebildeten Migranten hoch willkommen. Auch wenn die Märker ihre wohlklingenden Namen bis zum heutigen Tag gnadenlos falsch aussprechen, so waren sie von ihnen dennoch sehr geachtet. Ihre feine andere Lebensart brachte einen Hauch der großen weiten Welt in die Provinz. Das Edict von Potsdam sicherte seit 1685 den 20 000 Hugenotten nach den „harten Verfolgungen und rigoureusen proceduren eine sichere und freye retraite“ im Land Brandenburg. Die Hugenotten dankten den Gastgeber und befruchteten das Land in vielfältiger Weise.

Die zahlreichen Publikationen zu ihrer Geschichte fanden und finden immer wieder viele Leser und Zuhörer. So auch die Bücher von Werner Gahrig. Seit 1980 erforscht der Berliner Historiker die Geschichte der Hugenotten in Berlin und Brandenburg. In diesem Jahr legte er erstmals beim trafo Verlag Berlin eine Anthologie verschiedener Autoren mit dem Titel „Hugenottische Lebensbilder“ vor. In der Landeszentrale für politische Bildung war eine Lesung aus dem neuen Band geplant. Was nicht ganz gelang. Ausschweifend erfuhren die geduldigen Zuhörer vom mühsamen Weg der Spurensuche, die 2001 ohne finanzielle Unterstützung begann. Gahrig erzählte von der Auffindung der Interviewpartner, von ihren unterschiedlichen, oft schwierigen Lebenssituationen. Zwölf verschiedene Nachkommen der 13. und 14. Generation zeigten sich bereit, über ihre Familiengeschichte selbst zu schreiben. So ist in dem neuen Band von den Brandenburger Familien Benthin, Devrient, Henrion, Hurtienne, Landre, Soyeaux, Strate, Vaque und de Vinage zu erfahren. Viele Familien betrieben bereits selbst seit Jahren genealogische Studien. Weit verästelte Stammbäume entstanden. So war der Fundus überaus reich, aus dem geschöpft werden konnte. Zahlreiche Fotos und Dokumente illustrieren die Berichte.

Sechs Beiträge kommen aus der Uckermark, wohin vor 300 Jahren nach Angaben Gahrigs schätzungsweise 4000 Einwanderer gingen. Noch heute sei die Uckermark mit Schwedt, Angermünde und Groß Ziethen ein wichtiges Zentrum der Französisch Reformierten Gemeinde, deren Kirchen nur mit großen Anstrengungen erhalten werden können. Neben Potsdam und Berlin. Aber längst nicht mehr alle Nachfahren der Hugenotten hielten sich zur Gemeinde wie ihre Vorfahren. Einige bekleideten auch wichtige politische Ämter wie Joachim Benthin, der Landrat der Uckermark in Prenzlau sei.

Komplettiert werden die Familiengeschichten in Gahrings Buch von Diskursen zur Hugenottischen Erinnerungskultur, von einer umfangreichen Chronik, die von der Reformation bis ins Jahr 2005 reicht. Wenn auch wenig strukturiert, könnte der Band dennoch zum Leitfaden für weitere Spurensucher werden. Für alte und neue. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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