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PNN-Serie über Potsdamer Ufer (6): Vom Kiewitt zur Kastanienallee: Wendemanöver im Industriehafen

In der Sommerreihe Potsdamer Ufer stellen wir besondere Orte am Wasser vor. Heute in der letzten Folge: Vom Kiewitt zur Kastanienallee. Vorbei an neuer Kunst und alten Kähnen, Touristen beobachten Reiher, Angler fangen Plötzen und eine Gruppe Jogger geht verloren.

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Potsdam - Dieser Uferspaziergang beginnt zu Wasser, drei Minuten dauert die Fahrt mit der Fähre von Hermannswerder zum Kiewitt. Eine Frau mit Rad wechselt die Seite, auf dem Kiewitt wartet ein anderer Radler. Es ist nicht viel los in dieser letzten Ferienwoche. „Kommen Sie mal in der Schulzeit viertel vor acht“, sagt der Fährmann. „Da drängeln sich hier alle am Ufer und springen drüben runter, wenn die Fähre noch nicht anliegt. Es sind schon welche im Wasser gelandet. Nur Stress mit die Jöhren.“

Trotz so viel Stress sieht der Fährmann entspannt und braun gebrannt aus. Er hat auch gar nichts gegen den Job, sagt er, seit 2000 macht er das schon. Er kennt seine Fahrgäste, Kleingärtner, Sportler, Behinderte aus den Hoffbauerwerkstätten. „Und Sie, brauchen Sie jetzt noch’n Fahrschein?“

Das Spazierengehen hat an dieser Stelle Potsdams keine lange Tradition

Am Kiewitt-Ufer blühen Seerosen, ein Blesshuhn quäkt. Rechts liegt die Baustelle der „Bastion am Schillerplatz“, eingezäunt. Ohne Zaun kommt der Uferweg aus, durchgehend, ungesperrt und Potsdams längster. Er ist noch gar nicht so alt. Erst vor knapp zwei Jahren wurde ein Teilstück Richtung Luftschiffhafen saniert. Man kommt jetzt – immer am Templiner See entlang – bis Geltow und weiter. Dabei hat das Spazierengehen an dieser Stelle Potsdams noch keine lange Tradition. Potsdam-West war ein Industriehafen, hier legten beispielsweise die Kohlekähne am Heizwerk an. Auch Sägewerk und Klärwerk gab es hier. Erst weiter südlich begann die Villenbebauung, von der die Villa Ingenheim, in der 1942 Prinz Eitel Friedrich verstarb, noch übrig ist.

Heute ist das Areal vom Kiewitt stadtauswärts Erholungsgebiet. Am Rande der Schillerplatzsiedlung geht es vorbei an Christian Roehls „Wasserharfe“, einer 20 Meter langen Stahlskulptur. Der sanft geschwungene Bogen gehörte früher zu den Wasserspielen am Alten Markt. Nun spielt diese gleichzeitig wuchtige und zarte stählerne Rippe mit den Raumverhältnissen der weiten Rasenflächen und mächtigen Baumkronen.

Den kleinen Spielplatz 100 Meter weiter nutzt eine Tagesmutter mit ihren drei Kindern. Sie komme gern hierher, es ist ein ruhiger, aber schöner Ort. Manchmal macht sie hier sogar Picknick. „Letzte Woche haben wir die Verabschiedung von einem Kind gefeiert“, sagt sie. Und heute ist für den Jüngsten Eingewöhnung, er krabbelt übers Gras immer wieder zurück zum Vater.

"Haben Sie eine Gruppe Läufer gesehen?"

Der Weg macht dann einen kleinen Knick und führt über den Stichkanal, der später zum Schafgraben wird. Unter der Brücke wachsen Entengrütze und wilde Minze. Ein Radler bremst scharf auf dem Holzbohlenweg. „Haben Sie eine Gruppe Läufer gesehen?“ Der Trainer vom VfL, Potsdams Verein für Leibesübungen, sucht seine Jugendlichen, die hier ihr Lauftraining absolvieren. Immer wieder fährt er den Uferweg auf und ab.

Dann öffnet sich das Gelände, rechts liegt die Strandbar, ein kleiner Pavillon, der leider nur noch unregelmäßig geöffnet ist. Jedenfalls haben die beiden Urlauber aus Waren an der Müritz, die im Hotel daneben ein paar Tage verbrachten, die Strandbar nicht in Betrieb gesehen. Aber die Liegestühle sind noch da und kommen ihnen ganz recht. Sie haben sich direkt ans Ufer gesetzt und entspannen in der Sonne. In ein paar Stunden geht ihr Zug nach Hause. „Das viele Wasser in Potsdam ist abwechslungsreicher, irgendwie gewaltiger als unsere Müritz“, sagt der Mann. Er zeigt auf einen Reiher, der bewegungslos neben einer Schwanenfamilie – drei graue Halbwüchsige und ein weißer Altvogel – steht. „Der Reiher ist ein Überraschungsjäger, der wartet auf seinen Fisch“, sagt der Urlauber. Beide haben Zeit.

Der "Stechlin" liegt neben altem Schubkahn, den auch keiner mehr braucht

Auch der Angler ein paar Meter weiter hat Zeit. Er wohnt in der Clara-Zetkin-Straße, sagt der Mann, und geangelt hat er hier schon als Kind. Plötzen, Brassen und mit etwas Glück auch mal einen Hecht. Heute ist es eine Plötze, 25 Zentimeter lang. Natürlich wird er sie essen, die Fische hier sind in Ordnung. Das Ufer erinnert an der Stelle an seine frühere Nutzung, nicht schick, sondern funktional. An der festen Kaimauer führt ein breiter Betonweg entlang. Auf dem kleinen Mäuerchen sitzen Spaziergänger. Abends kommen Jugendliche hierher, ein vergessener Einweggrill und Weinflaschen lassen vermuten, dass es bisweilen gesellig zugeht. „Die Jugendlichen wollten sogar aus dem alten Kahn, dem Stechlin, einen Klub machen“ erzählt der Angler. Aber daraus wurde wohl nichts. Also liegt der „Stechlin“ still neben einem anderen ausgedienten Schubkahn, den wohl auch keiner mehr braucht.

An Land ist von der früheren Industrie nichts mehr übrig, aus den Resten des E-Werks wurden schicke Wohnungen mit Blick aufs Wasser. Adresse: Klingenberg-Ufer. Benannt nach Professor Georg Klingenberg, Elektrotechniker und Ingenieur für Kraftwerksbau, verstorben 1925 in Berlin. Auch das Potsdamer Kraftwerk ging auf seine Pläne zurück. So steht es auf einer blauen Infotafel.

Auch auf dem Wasser geht es sportlich zu

Die Jogger, die hier vorbeikommen, interessieren sich nicht dafür. Die Jugendlichen in Sport-Trikots passen zur Beschreibung der Läufer, die von ihrem Trainer gesucht werden. Nun sind sie schon auf dem Rückweg. Auch auf dem Wasser ist man sportlich. Eine Segelschule ist dort zu Gange, hat mit Bojen Punkte markiert. Fünf Kinder in kleinen Jollen üben das Wenden. Das Wasser überträgt die Kommandos des Trainers an Land. Dort hat ein kleines Hausboot festgemacht, am Ufer hat der Bewohner ein paar handgeschriebene Schilder und Plakate aufgebaut, mit denen er auf seine persönliche komplizierte Situation aufmerksam macht und gegen eine Entscheidung des Landgerichts Cottbus protestiert. Im Schiff dudelt das Radio. Protest kann so schön sein.

Das kleine Ende der Kastanienallee gegenüber dem Yachthafen gibt dann den Blick frei auf die laute Kreuzung. Einflugschneise für Hektik und Alltag. Rechter Hand liegt die Seniorenwohnanlage, Teil des neu gebauten Momper-Centers. Das schöne Café mit Terrasse bleibt leider ab heute geschlossen, im Schaukasten bedankt sich das Team für die schönen Stunden mit seinen Gästen. Die Wandergruppe Ü 60, mit guten Schuhen, Stöcken und Sonnenhüten ausgestattet, wird hier also nicht mehr einkehren. Trotzdem machen alle kurz Halt und werden belehrt. „Hier, mit Blick aufs Wasser, wohnt Manfred Stolpe“, ruft die Wandergruppenleiterin theatralisch in die Runde.

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