Kultur: Wenn die Gondeln Orientalisches tragen
Literarische Eindrücke eines preußischen Venedigreisenden
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Der Blick ins Programmheft ließ Skepsis aufkommen. Eine Gondelfahrt wurde versprochen, „literarische Eindrücke eines preußischen Venedigreisenden“. Klaus Büstrin sollte aus dem schmalen Band „Venetianische Novelle“ von Franz Freiherr Gaudy lesen. Mit den Römischen Bädern im Park Sanssouci war der Ort perfekt gewählt. Man saß überdacht mit Blick auf den Springbrunnen und das Wasser dahinter. Alles italienisch stimmig. Doch die Musik?
Begleitet wurde die Lesung durch die Berliner Gitarristin Nora Buschmann. Doch bis auf „Le Gondolier“ von Johann Kaspar Mertz zog es sie musikalisch nicht nach Italien, sondern nach Lateinamerika. Mit Ricardo Cianferoni, Juan Falú und Augustín Barrios-Mangoré hatte Nora Buschmann Komponisten mit Stücken ausgewählt, die auch auf ihrer aktuellen CD „Apassionata Latina“ zu finden sind. So konnte der Eindruck entstehen, dass hier nur ein Programm gespielt wurde, das sie gerade sowieso im Repertoire hat, ob es nun zur Lesung passt oder nicht. Wie leicht man sich doch täuschen kann.
Es ist zur guten Tradition der Musikfestspiele geworden, neben dem Bekannten immer wieder weniger Bekanntes zu stellen und so den Besucher auch zu einem Entdecker werden zu lassen. Und so wurde die aufreibende, humorvolle, zum Ende hin arg blutrünstige und herrlich grotesken Lesung auch zur Entdeckung des wohl nur noch wenigen bekannten Franz Freiherr Gaudy, der Anfang 1840 mit nur 39 Jahren verstarb und ein paar wundersame Novellen und Gedichte hinterlassen hat. In „Venetianische Novelle“ schickt er den Gondoliere und Erzähler Antonello und den Edelmann und Frauenheld Orazio Memmo auf manches Abenteurer durch die Lagunenstadt. In diesen Novellen pflegte Gaudy einen barocken Erzählstil, ergeht sich in ausschweifenden Beschreibungen, die Venedig wenn schon nicht in eine Märchen-, dann doch in eine Traumwelt verwandeln. Klaus Büstrin nahm sich Zeit für diese Beschreibungen, schien dieser Pracht, die sich Antonello und Orazio Memmo bei der Verfolgung einer orientalischen Schönheit zeigte, förmlich nachzulauschen. Gleichzeitig ließ er auch der Ironie genug Raum, mit der Gaudy hier den Klischeereichtum à la „Tausendundeiner Nacht“ anhäufte.
Nora Buschmann griff das Fremde und Geheimnisvolle dieser Orientalin und ihrer märchenhaften Welt musikalisch wunderbar auf. Ob Cianferonis „Los Diaz por Oriente“ oder Falús „Luz de giro“, mit elegantem, sensiblem und gleichzeitig lebhaftem Anschlag nahm sie die Zuhörer mit in den zauberhaften Garten der orientalischen Schönheit, in dem nur Antonello und Orazio Memmo ein schauriges Wunder erlebten. Nur zum Schluss hätte man sich statt des Barriosschen Gassenhauers „Gran Tremolo“ doch etwas Italienisches gewünscht, um so gemeinsam mit Antonello und Orazio Memmo durch Venedigs Kanäle zu gondeln.Dirk Becker
Dirk Becker
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