
© Manfred Thomas
Kultur: Wenn die Welt brennt
Der Kunstraum widmet dem Potsdamer Maler Stephan Velten zum 60. Geburtstag eine Retrospektive
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Den Krieg hat es niedergestreckt. Stephan Velten hat ihn hier in Form von Helmen auf dem Boden des Kunstraums ausgebreitet. Schlammig-braun, bespritzt, verbeult – und jeder hat eine andere Form. Es sind Helme aus verschiedenen Epochen, in denenen Menschen Kriege geführt haben, das älteste Modell stammt aus der Bronzezeit, sagt Velten. Er hat sie aus Keramik nachgebaut, mit allen Blessuren und Absplitterungen, und dann mit den Farben des Krieges lasiert. „Glockenläuten“ heißt das Werk, und wer in Potsdam lebt, denkt da natürlich sofort an die Garnisonkirche.
Vorgegeben hat Stephan Velten diesen Gedanken nicht, ihn interessieren ohnehin viel mehr die größeren Zusammenhänge. Der Krieg taucht in der Retrospektive, die der Kunstraum des Waschhauses unter dem Titel „Komplex“ dem Potsdamer Maler derzeit widmet, noch öfter auf. Ein zweites Mal hat er ihn auf die Matte gezwungen: „Unbekanntes Gedächtnis“, das ist ein Rechteck aus kleinformatigen Bildern, schwarzblaue Totenköpfe auf gelbem Grund. Immer wieder dasselbe Motiv, mal scheinen die Schädel mehr verrottet, mal weniger. In Charlottenburg, erzählt Velten, habe er mal eine Reihe von Porträts preußischer Offiziere hängen sehen, ähnlich angeordnet. „Die schienen alle sehr von sich überzeugt in ihrem Harnisch.“ Einige Zeit später lief ein Dokumentarfilm über den Irakkrieg. Lauter menschliche Köpfe lagen da im Sand, verbrannten in der Sonne.
So läuft das bei Velten, diesem wortkargen, fast scheu wirkenden 60-Jährigen. Seine Neugier reicht in ganz verschiedene Bereiche, die tomografischen Schnitte, die Neurologen durchs menschliche Gehirn machen, inspirieren ihn genauso wie archaische Feuersteinwerkzeuge, die er inzwischen privat selbst sammelt. „Ich hatte auch mal überlegt, Archäologie zu studieren“, sagt er. Dann hat er sich aber doch für Kunst in Berlin-Weißensee entschieden. Die altertümlichen Fundstücke, die er nun nicht ausbuddeln kann, schafft er mit seiner Kunst einfach selbst: Indem er kleine Relikte – wieder aus Keramik – baut. „Strandung“ heiß die Arbeit, aufgereiht in einer Glasvitrine sehen seine Arbeiten den Exponaten aus archäologischen Sammlungen auf den ersten Blick täuschend ähnlich. „Die Reise in die Vergangenheit ist unsere Zukunft“, sagt Velten. Was er meint, ist: Über die Zukunft können wir Menschen gar nichts wissen, alles, was wir an Erfahrung und Erkenntnis sammeln können, liegt hinter uns.
Überhaupt lässt Velten gern die Bedeutungsebenen ineinander verschwimmen. Es gibt da diese Serie kleiner Collagen, Ausschnitte aus Zeitungen und Fotos. Soldaten auf dem Schlachtfeld werden da umschlungen von nackten Leibern aus Pornoheften, darüber prangt manchmal ein glänzender Sammelaufkleber mit zwei rosigen Engeln. All das verschwimmt in dieser Serie unter einem milchigen Blatt Transparentpapier, zusammengeheftet sind die Schichten mit schlichten Tacker-Klammern. Alles, was man für diese Serie braucht, sagt Velten mit leichtem Stolz, könnte man in einer ganz normalen Büroschublade finden. „Blattgold auf Treibsand“ heißt die Reihe, die mit der Tatsache spielt, dass Erinnerungen sich verwandeln, Neues von Altem verdrängt wird. Das Wertvolle verwäscht sich im Uferlosen.
Wie durch Milchglas scheinen auch die ganzen Schrecken der Kindheit, die er in einer Serie großformatiger Ölbilder festgehalten hat. „Weißes Band“ ist der Übertitel, und klar denkt man da an den gleichnamigen Film von Michael Haneke, der so erschütternd wie unaufgeregt die demütigende, die Seele brechende Erziehung des frühen 20. Jahrhunderts porträtiert.
Die Versatzstücke bei Velten sind auf fast allen Bilder dieselben: Reiher mit überlangen Schnäbeln, Halskrausen und überlange spitze Hüte, wie sie klassische Harlekins tragen, der Unterkiefer eines Raubtiers. Man könnte bei „Einschulung“ oder „Falscher Vater“ deshalb ans Kasperltheater denken und sieht doch etwas anderes. Die Verwirrungen, denen man als Kind ausgesetzt ist, und die Angst und die Scham, die daraus resultieren. Die sanften Farben – Gelb, Blassblau und ein warmes Rot – konterkarieren den Horror.
Die feinen schwarzen Linien und die hellen Farben erinnern an Illustrationen aus Kinderbüchern. Und tatsächlich passiert ja auch nichts, nicht auf den Bildern, aber in der Erinnerung der Betrachter.
Das Vage und das Explizite sind bei Velten eng verschlungen, genauso wie das Abstrakte und das Gegenständliche, das Expressive und das Surreale. Er liebt das Ambivalente, das nicht eindeutige. Vielleicht deshalb verwendet er so viel Gelb: „Das kann für Schwefel stehen oder für die Sonne.“ Verbinden kann man beides mit Feuer, und sofort fällt Velten ein Zitat von Heraklit ein: „Die Welt war und ist und wird immer sein, ein ewig lebendiges Feuer, aufflammend nach Maßen und verlöschend nach Maßen.“
So weit gefächert Stephan Veltens Themen und seine stilistische Bandbreite sind, das Gelb zieht sich wie ein rotes Band durch seine Arbeiten. Mal als eine Art feiner Sprühregen, der sich über die Gesichter seiner „Helden“ legt, mal egoistisch die Flächen erobernd. Und wenn er sagt, dass er den Mensch stets als Getriebenen wahrnimmt, der sich den universellen Gesetzen nicht entziehen kann, dann ist Gelb mit seiner Zweischneidigkeit der richtige Grundton. Denn irgendwo muss sie doch trotz allem Ausgeliefertsein zu finden sein, die echte Freiheit, eine, die über die konsumistische Beliebigkeit hinausgeht.
Die Retrospektive „Komplex“ ist noch bis zum 13. Juli im Kunstraum an der Schiffbauergasse 6 zu sehen. Geöffnet ist mittwochs bis sonntags von 13 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei
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