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Kein Langweiler. „Halbschatten“-Regisseur Nicolas Wackerbarth.

© Manfred Thomas

Kultur: Wenn nichts passiert

Das Thalia-Kino hatte zu einem Film über gesittete Langweile eingeladen. Ein Filmgespräch

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Überall sieht man Menschen vorbeihetzen. Hin und her, immer schneller. Hektik, Betriebsamkeit und Schnelllebigkeit bestimmen das Leben vieler Menschen. Niemand hat mehr Zeit. Und auch wenn man selbst ganz entspannt im Kinosessel sitzt, rasen die Geschehnisse auf der Leinwand meist nur so dahin. Zu einem Film über gesittete Langweile lud dagegen das Thalia-Kino am vergangenen Samstag. Doch weder der Film „Halbschatten“ noch das anschließende Filmgespräch mit Nicolas Wackerbarth ließen auch nur einen Hauch von Langeweile aufkommen.

Die Fronten sind klar getrennt. Wer auf dem Berg oberhalb des Stacheldrahtzauns, hinter alarmgesicherten Türen und großen Mauern lebt, gehört zu jener Klasse von Menschen, die sich die Zeit am Pool oder im Beachclub vertreibt. Wer unterhalb davon lebt, gehört nicht dazu. Merle (Anne Ratte-Polle) ist eine Wanderin zwischen diesen Welten. Von ihrer Affäre Romauld (Henry Arnold) in dessen Haus mit Meerblick im Süden Frankreichs eingeladen, trifft sie dort nur auf Romaulds Kinder Felix (Leonard Proxauf) und Emma (Emma Bading), die von der Beziehung ihres Vaters zu der Buchautorin nichts wissen. Das Warten beginnt, denn während Romauld sich geschäftlich anderswo herumtreibt, müssen Merle, Emma und Felix die neue Situation miteinander aushandeln. Doch gerade weil während des dreitägigen Aufenthaltes gerade nichts passiert, durchläuft Merle einen Prozess innerer Wandlung, der eine Entscheidung in der Lethargie der Sommerhitze unausweichlich erscheinen lässt.

Mit „Halbschatten“ ist Nicolas Wackerbarth ein Film gelungen, der auf beeindruckende Weise das Porträt einer unbeständigen Frau Ende dreißig mit der Zeit in Verbindung setzt, die jeder Mensch mit sich selbst verbringt. Einen Film darüber zu drehen, dass nichts passiert, schien für Wackerbarth eine Herausforderung, aber auch ein Bedürfnis. Die Darstellung eines inneren Vorgangs im Medium des Films ließ für Wackerbarth nur zwei Möglichkeiten zu: Bild oder Sprache. „Innere Monologe oder andere sprachliche Mittel geben häufig eine Richtung vor. Ein Bild eröffnet einen Raum, in dem die Zuschauer die Geschichte selbst entdecken können“, erzählt Wackerbarth im Filmgespräch.

Von Langeweile also keine Rede. „In Filmen werden Situationen häufig nur angedeutet und sie bekommen eine metaphorische Ebene. Aber erst durch Wiederholungen verstehe ich die Empfindungen und kann sie nachvollziehen“, erklärt Wackerbarth. Der Zuschauer sei so trainiert, dass ihm immer wieder Geschichten erzählt werden. Eine Spannung, die durch die Langeweile ständiger Wiederholung und stillstehender Bilder erzeugt wird, müsse er erst einmal wieder lernen. Wackerbarth setze dabei vor allem auf ein Spiel mit den Erwartungen.

Die Erwartungen der doch wenigen Zuschauer – nur neun Interessierte hatte es bei der Sommerhitze in das Thalia Kino verschlagen – schien Nicolas Wackerbarth zu voller Zufriedenheit erfüllt zu haben. So entfesselte sich schnell eine inspirierte Unterhaltung über den Inhalt, die Dreharbeiten und die Hintergründe des Films. Weg von der Frontalsituation im Kinosaal hin zu einer geselligen Gesprächsrunde im Foyer. Das sollte in der Filmgespräch-Reihe des Thalias vielleicht zum Konzept werden. Denn selten hat man nach dem Film ein so angeregtes Gespräch erlebt. Und das bei einem Film über Langeweile. Chantal Willers

Chantal Willers

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