Von Heidi Jäger: Wenn Schauspieler sich erinnern
In „Der ungeteilte Himmel“ sprechen 19 Schauspieler über den Wechsel in ein fremdes Land
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„Ufa-Nasen“ nennt er sie, die Regisseure der DEFA. Kaum einer kommt gut bei ihm weg, auch nicht die Kollegen vom Theater. Mit boshaft schönen Formulierungen führt Eberhard Esche Eitelkeit und Mittelmaß vor, redet sich alles von der Seele, was ihn in seinem Künstlerleben auf die Palme brachte. Er brilliert in seinem Rückblick mit feinsinnigem Humor, geschliffener Sprache, klugen Gedanken und eckt immer wieder an: mit durchaus anmaßenden Beurteilungen. Er ist der einzige, der so respektlos die Kollegen aufs Korn nimmt. Die Reaktionen darauf muss er nicht mehr aushalten. Vor zwei Jahren starb der Mime, der am Deutschen Theater für große Abende sorgte.
Eberhard Esche ist einer von 19 Schauspielern aus der DDR, die Ingrid Poss und Peter Warnecke in ihrem vom Filmmuseum Potsdam herausgegebenen Buch „Der ungeteilte Himmel“ zu Worte kommen lassen. In dieser Woche ist das Buch in den Handel gekommen.
„Alle anderen waren sehr zurückhaltend in der Bewertung von Kollegen. Somit ist es auch kein Klatsch- und Tratschbuch geworden“, sagt Peter Warnecke. Zusammen mit Ingrid Poss hatte er in den Jahren 2002 und 2003 oft in tagelangen Sitzungen die Schauspieler nach ihrem privaten Leben und dem auf der Bühne und im Film befragt, war dies als Hintergrundmaterial für die neue Dauerausstellung im Filmmuseum gedacht. „Die Buchidee und damit die eigentliche Arbeit kam erst später. Denn was als gesprochenes Wort mitgeschnitten wurde, las sich Schwarz auf Weiß plötzlich ganz anders, oftmals fremd. Wir ließen immer wieder Korrekturen zu, so dass jeder mit seinem Porträt leben konnte,“ sagt Warnecke. Die Schauspieler Peter Reusse und Eszard Haußmann redigierten ihre Manuskripte selbst, Jutta Wachowiak zog ihres zurück. Die Gespräche mit Anja Kling, Jörg Schüttauf, Dieter Mann und Inge Keller kamen erst im vergangenen Jahr dazu.
Gerade die Grande Dame des Deutschen Theaters, Inge Keller, reflektiert sehr selbstkritisch ihr Leben, das als „höhere Tochter“ begann. „Meine Jugend ist schnell auf den Punkt gebracht: ich war ein absolut simples Mädchen.“ Als die Verhandlungen über die sogenannte „Endlösung“, die Vernichtung der Juden, in der Wannsee-Villa stattfanden, „da segelte ich auf diesem See, mit meinen Freunden.“ Und plötzlich waren die Juden weg. „Ich müsste doch gefragt haben: Wo sind die denn alle? Es waren doch meine Mitschülerinnen ... aber ich hörte mich nichts fragen.“ Sie, die bei der DEFA die Gräfin vom Dienst war, wurde auch als großer Star am Deutschen Theater gefeiert. Jedes Wort sezierte sie auf der Bühne: „Der Genuss des Kommas, die Überraschung eines Doppelpunktes, das Atemholen eines Gedankenstriches, das sind Erlebnisse, die weitergegeben werden müssen. Man sollte als Schauspieler nie klüger sein als das Komma oder der Doppelpunkt oder der Gedankenstrich.“ Trotz aller Hochs und Tiefs nach der Wende und der Frage, ob es die Verantwortung des Schauspielers noch gibt, resümiert sie hochbetagt: „Ja sagen zum Leben, immer wieder, und nicht verlernen, Nein zu sagen! Die Gelassenheit bewahren, ohne dass der Zorn einschläft.“
Nicht bei allen Interviewten gibt es diese gestochene Sprache, mitunter bleibt durch die Reduzierung auf das geschriebene Wort auch etwas von der Persönlichkeit auf der Strecke, wie bei Jörg Schüttauf, den man einfach sehen und hören muss, um ihm wirklich zu begegnen. Aber auch er erzählt offenen Herzens Anekdoten, die das Lesen wieder zum heiteren Genuss machen. So, wenn er sich daran erinnert, wie ihm Egon Günther die Hauptrolle des „Lenz“ anbot und er kalte Füße bekam: „Das ist ein ganz toller Stoff, und sicher auch gut zu spielen. Aber ich kann das nicht, ich bin Prolet, kein Dichter, ich kann jemanden Schlaues nicht spielen.“ Doch Günther entgegnete entwaffnend: „Sehen Sie, das hätte der Lenz vielleicht genauso gesagt.“ Und verhalf damit Schüttauf und dem Kinopublikum zu einem cineastischen Erlebnis.
Wie Peter Warnecke betonte, sollte „Der ungeteilte Himmel“ vor allem ein Mosaik aus ganz unterschiedlichen Haltungen und Reflexionen werden. Wichtigstes Auswahlkriterium, welche Protagonisten sie befragten, war vor allem, dass sie die Wende im Osten miterlebten und so erzählen konnten, wie sie mit beiden Systemen und dem Mauerfall klar gekommen sind. Die meisten von ihnen wurden rigoros von ihrem Sockel gestoßen: die Götter am Theaterhimmel, die lange ihre Privilegien genießen konnten, mussten plötzlich Klinken putzen. Doch sie fanden wieder Anschluss, wenn auch nicht immer als große Solisten. Einige, wie Renate Blume, die jetzt in München Theater spielt, trauern larmoyant um die alte Zeit, beklagen die Verflachung des Fernsehens, Kinos und auch des Theaters. Christian Steyer freute sich indes, dass „der Deckel hochgehoben wurde“. „Ich fühlte mich befreit, als dieser Irrtum verschwand. Jetzt kommen neue ...“
Jaecki Schwarz relativiert das vielgepriesene Künstlereldorado DDR. Die Anfang der 70er Jahre eingeführte Unkündbarkeit der Theaterschauspieler sei zwar sozial richtig, künstlerisch aber falsch gewesen: „Du musstest immer warten, bis jemand stirbt, damit es Vakanzen gab.“ Er verbrachte den 9. November 1989 in der Entzugsklinik und hatte danach keine Angst vor dem Klinkenputzen. Seinen Kommissar Schmücke möchte er bis zum Lebensende spielen.
Auch Michael Gwisdek interessiert nicht die Vergangenheit, sondern das, was er noch vor sich hat. Mit der DDR arrangierte er sich erst nach seinen fehlgeschlagenen Ausbrüchen. Mit einem Freund wollte er 1963 im Taucheranzug den Griebnitzsee Richtung Westen durchschwimmen. Als die Bolzenschneider den Zaun aufknallten, schossen Leuchtraketen in die Luft. Sie rannten mit ihren Anzügen zur S-Bahn – und kamen davon. Später fälschte Gwisdek Pässe für Leute, die abhauen wollten, und wurde erwischt. Nach einem dreiviertel Jahr Einzelhaft stand er wieder auf freiem Fuß und bald ganz vorne auf der Bühne. Er konnte sich seinen Traum aus Kinderzeit erfüllen: „Im Zoo-Palast geht der Glitzervorhang auf, und auf der ganzen Leinwand steht nur ein Name: „Michael Gwisdek in ...“
Das Buch erzählt mal mehr, mal weniger spannend die unterschiedlichsten Biografien und damit Zeitgeschichte, beschreibt Eitelkeiten und Verletzungen. Wie die von Simone Frost, die mit 34 Jahren plötzlich zu den Museumsstücken am Berliner Ensemble gehörte und unter Claus Peymann nur noch eine stumme Rolle als Gnadenbrot erhielt. „Ich musste mir von 22-jährigen Kollegen sagen lassen: ,Ihr alten BE-Schauspieler könnt doch gar nicht mehr kreativ denken’.“
Viele Schauspieler gingen 1989 für eine andere DDR auf die Straße: „Aber Fakt ist, dass sie in ihrer schuldigen Unschuld auf dem Alexanderplatz demonstrierten, um ihre Theater und damit sich selbst abzuschaffen – das konnten sie damals sicher nicht wissen. Ich konnte es ahnen“, sagt Eberhard Esche, der das Jahr 1989 als „Verhängnis“ empfand.
Auch Rolf Hoppe, der mit István Szabó „Mephisto“ drehte und dafür den Oscar bekam, konnte nach der Wende seinen Anspruch nicht mehr halten. „Ich musste Geld verdienen und habe mich in Serien verdingt, was ich nie machen wollte.“ Heute hat er bei Dresden sein eigenes kleines Theater, das er noch immer als moralische Anstalt sieht. „Theater ist eine großartige Erfindung. Auch oder selbst heute noch!“ Und er wird weiter spielen, den Menschen den Spiegel vorhalten. Egal, wie die Zeiten sind.
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